Lohn statt Taschengeld?

Die österreichische Regierung hat angekündigt: Menschen mit Behinderungen in Werkstätten sollen in Zukunft Lohn bekommen. Klingt erstmal gut, aber ist es das? andererseits hat mit drei Expert*innen darüber gesprochen.

Von Nikolai Prodöhl und Clara Porak

Die österreichische Bundesregierung hat angekündigt: Sie gibt 36 Millionen Euro für Menschen mit Behinderungen aus. Damit will sie erreichen, dass es in den Werkstätten in Österreich bald einen Lohn statt Taschengeld gibt.

Gerade arbeiten rund 28.000 Menschen mit Behinderung in Werkstätten.

Sie erhalten ein Taschengeld zwischen 35 und 100 Euro im Monat laut der Statistik des Bundesministeriums für Soziales. Schon seit Jahren sagen Expert*innen: Das ist gegen die Menschenrechte. Im Jahr 2023 wurden alle Staaten geprüft, ob sie die UN-Behindertenrechtskonvention einhalten. Darin wurden bei Österreich auch die Werkstätten erwähnt. Jetzt scheint sich das zu ändern: „Menschen mit Behinderung erhalten damit ein faires Gehalt und eine soziale Absicherung sowie die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben“, sagt Sozialminister Johannes Rauch zum Standard.

Wir haben Expert*innen und Betroffene gefragt: Was halten Sie von dem Plan?

“Ein Schritt in die richtige Richtung”

„Es ist noch unklar wer und wieviele Personen einen Lohn erhalten werden“ sagt Daniela Rammel Stv. Vorsitzende des Unabhängigen Monitoringausschuss Mit dem von der Regierung beschlossenen Geld soll ein Pilotversuch gestartet werden. “Das heißt noch lange nicht, dass alle Menschen in Werkstätten jetzt einen Lohn bekommen”, sagt Rammel. In einem nächsten Schritt werden Kriterien, also die Merkmale, nach denen das Geld vergeben wird, erarbeitet. “Wir setzen uns sehr dafür ein, dass diese Kriterien gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen erarbeitet werden”, sagt Daniela Rammel.

Selbstvertreter Oswald Föllerer befürchtet, dass es diesen Lohn nur für Menschen gibt, die auf den Außen-Arbeitsplätzen arbeiten: “Die Leute, die ausgeborgt werden, bekommen das Geld. Nicht die in den Werkstätten.” Außen-Arbeitsplätze sind in Betrieben, aber über die Werkstätten organisiert. Er sagt: “Wir finden, es braucht einen Lohn für alle Menschen mit Behinderungen.”

Trotzdem: Alle Expert*innen, mit denen wir gesprochen haben, sagen: Das ist eine gute Änderung. “Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung”, sagt Daniela Rammel.

Wahlfreiheit

Auch Forscherin Helga Fasching begrüßt den Schritt. Sie forscht an der Universität Wien zu Inklusion und Arbeit. Helga Fasching sagt: Es geht vor allem um Wahlfreiheit. Sie findet Lohn statt Taschengeld wichtig, damit man besser selbst entscheiden kann, wo man arbeiten möchte. „Es geht darum zu wählen, wo ich arbeiten möchte, in der freien Wirtschaft oder sozusagen am ersten Arbeitsmarkt oder am sogenannten dritten Arbeitsmarkt“, sagt Fasching. Für sie ist es wichtig, die Selbstbestimmung zu unterstützen.

Das sagt auch Oswald Föllerer: „Möglichst viele Menschen sollten außerhalb der Werkstätten arbeiten können, aber die, für die es nicht geht, sollten einen Lohn erhalten.“

Bei Einführung eines Lohns in der Werkstatt würden Menschen mit Behinderungen immer noch getrennt von der Gesellschaft arbeiten. Dort arbeiten Menschen mit Behinderungen zusammen, anstatt mit und ohne Behinderungen in einem Unternehmen zu arbeiten. Es schaffen von der Werkstatt auf dem ersten Arbeitsmarkt ungefähr 1 Prozent der Menschen mit Behinderungen laut Job inklusive.

Es liegt daran, dass der Arbeitsmarkt nicht inklusiv ist. In der freien Wirtschaft geht es um Leistungen und Profit. Es wird behauptet, dass Menschen mit Behinderungen nicht so leistungsfähig wären wie Menschen ohne Behinderungen und dass sie unkündbar wären, schreibt die Aktion Mensch auf ihrer Homepage.

Wenn Menschen mit Behinderung ein richtiges Gehalt bekommen würden, könnten sie dazu verdienen. Da man nicht von Sozialleistungen abhängig wäre. Allerdings muss man dann alles selbst bezahlen, wie zum Beispiel die Miete, Nebenkosten und Betreuung. Gemäß dem Sozialgesetzbuch hat man nur Anspruch auf Grundsicherung, wenn man seinen Lebensunterhalt nicht selbst finanzieren kann.

Wenn jemand nicht mehr so gut arbeiten kann, würde allerdings die Absicherung durch die Sozialleistungen fehlen.

Das ist keine Inklusion

„Auch wenn Menschen mit Behinderungen Lohn bekommen, ist das keine Inklusion“, sagt Helga Fasching. „Die Werkstatt ist eben nicht inklusiv, weil in der Werkstatt alle in der Regel nur Menschen mit Behinderung zusammenarbeiten.“ Das Ziel ist für Helga Fasching Inklusion. Die Arbeit am ersten Arbeitsmarkt muss sich so verändern, dass Menschen mit Behinderungen die Wahl haben: „Will ich in der freien Wirtschaft arbeiten oder in der Werkstatt, auch wenn sie nicht inklusiv ist?“, sagt Helga Fasching.

Auch Daniela Rammel sagt: „Das Ziel muss der Abbau von Werkstätten bleiben.“ Ein Lohn in den Werkstätten alleine führt nicht dazu, dass der Arbeitsmarkt inklusiv ist. „Das generelle System muss sich ändern“, sagt Daniela Rammel. „Der Arbeitsminister muss auch involviert sein, das ist nicht nur ein Thema fürs Sozialministerium, es betrifft alle Bereiche.“

Auch Oswald Föllerer findet, dass die Reform nur der Anfang ist: „Wir haben Nationalrät*innen, die für Menschen mit Behinderungen zuständig sind. Aber die kümmern sich fast nie wirklich darum“, sagt er. „Ich wünsche mir, dass die Politik wirklich Inklusion und Teilhabe umsetzt.“