„Das ist im Prinzip mein Leben“

Mariya Menner ist die erste taube Person, die eine Haupt-Rolle in einem österreichischen Kino-Film spielt.

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Mariya Menner ist taub und spielt im Kino-Film „Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst“. Sie ist die erste taube Person, die eine Haupt-Rolle in einem österreichischen Kino-Film spielt. Wie ist das gelungen?

„Die Nachricht, dass ich die Rolle bekomme, hat mich total umgehauen“, sagt Mariya Menner. „Ich habe mich wirklich riesig gefreut.“ Menner ist Schauspielerin und spielt eine Haupt-Rolle im Film „Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst.“ Das heißt: Sie spielt eine der wichtigsten Rollen. 

Dass sich Menner so gefreut hat, liegt auch daran, dass es ihre erste Rolle in einem Film war. Für den Film wurden nicht nur Menschen mit Schauspiel-Erfahrung gesucht. Es wurden auch Menschen gesucht, die Erfahrung mit der Lebens-Realität haben, die im Film gezeigt wird. Das ist nicht oft so. Für Menner heißt das: Sie ist bald auf Kino-Leinwänden in ganz Österreich zu sehen. Wie hat das geklappt?

„Ich habe mir gedacht, ich kann es doch mal probieren“, sagt Menner. Bevor sie für den Film ausgewählt wurde, lebte sie in Tirol und las in einer Aussendung des Gehörlosen-Bundes, dass eine taube oder schwerhörige Person gesucht wird. Schauspielen war immer ihr Traum. Also wollte sie es versuchen: „Ich habe eine Bewerbung geschickt und sie haben mich ausgewählt.“

Eine Frau mit schwarzen Locken spricht Gebärde.
Menner ist die erste taube Person, die eine Haupt-Rolle spielt

Nach einem Kennenlernen mit dem Team des Filmes war schnell klar: Menner spielt Isolde, eine taube Frau. Der Film begleitet ihre Tochter Anna und sie. Wir sehen Isolde mit ihrer Tochter beim Schulkonzert, in der Arbeit, beim Kaffee trinken. Sie hat Freund*innen, eine romantische Beziehung und ist für ihre Tochter jemand, zu dem sie aufsieht. Gleichzeitig gibt es auch Konflikte und Schwierigkeiten. Im Film sieht man sie Österreichische Gebärden-Sprache sprechen. Das ist auch Menners erste Sprache. 

Menner ist taub und spielt eine taube Frau. Das ist selten. Denn selbst wenn Menschen mit Behinderungen in Filmen gezeigt werden, werden sie oft von Menschen ohne Behinderungen gespielt. Das nennt man „Cripping Up“. Viele Menschen aus der Behinderten-Bewegung kritisieren das. Denn so bekommen Menschen mit Behinderungen noch schwieriger Rollen als Schauspieler*innen. 

Gleichzeitig gibt es für Menschen mit Behinderungen in Österreich kaum Möglichkeiten, eine professionelle Schauspiel-Ausbildung zu erhalten: Erst seit 2025 gibt es ein sogenanntes „Professionalisierungs-Programm für Menschen mit Behinderungen“ in Wien. Bisher haben nur eine handvoll Menschen mit Behinderungen eine Ausbildung als Schauspieler*innen. Wie viele genau ist nicht bekannt.

Für Marie-Luise Lehner, die bei dem Film Regie geführt hat, war von Anfang an klar: Die Schauspielerin, die die Rolle der Isolde spielt, muss die Lebens-Realität von schwerhörigen und gehörlosen Menschen kennen. Weil sie keine ausgebildete Schauspielerin fand, die gehörlos oder schwerhörig ist, entschied sie, sogenannte „Laien“ zu suchen. Das sind Menschen, die keine Ausbildung als Schauspieler*innen haben. Aber, so Lehner: „Menschen, die die Lebens-Realität kennen, die ein Film zeigt, sind keine Laien, sondern Expert*innen.“

Dass der Film gehörlose Menschen so zeigt, hat Menner überrascht: „Ich habe das Drehbuch an einem Stück durchgelesen, ich konnte nicht mehr aufhören. Dann war ich fertig und habe gedacht: Wow! Das ist mein Leben, im Prinzip eins zu eins.“ 

Dass Menschen mit Behinderungen in ihrem Alltag gezeigt werden, kommt nicht oft vor – weder in Spielfilmen, noch in der Öffentlichkeit insgesamt. Eine Studie der österreichischen Forscherin Marie Pernegger aus dem Jahr 2023 zeigt: Menschen mit Behinderungen kommen in den österreichischen Medien kaum vor. Und selbst wenn: „In Massenmedien werden Menschen mit Behinderungen oft entweder als Opfer/Objekt oder bewundernswerte Held*innen dargestellt“, so die Studie. Was dabei verloren geht, ist der Alltag und die Lebens-Realität von Menschen mit Behinderungen. 

Menner ist genau diese Art von Sichtbarkeit für Menschen mit Behinderungen wichtig.  „Viele wissen gar nicht, wie gehörlose Menschen leben“, sagt Menner. Wichtig war ihr zum Beispiel zu zeigen, dass gehörlose Menschen nicht einsam sind. „Gehörlose haben genauso die Möglichkeit, sich mit Freunden zu treffen, zu plaudern und fortzugehen“, sagt sie. Aber auch kleine Alltags-Momente haben Platz im Film: „Zum Beispiel können sich viele nicht vorstellen, wie wir morgens aufwachen“, sagt Menner. „Aber es gibt einen Blitz-Licht-Wecker. Den sieht man auch im Film.“ 

Menner ist die erste taube Person, die eine Haupt-Rolle spielt ©Polyfilm

Ein wichtiger Teil des Filmes ist die Österreichische Gebärden-Sprache (kurz: ÖGS). „Ich empfand es als großen Vorteil, eine Person zu zeigen, die diese Sprache spricht“, sagt Lehner. Das ist nicht selbstverständlich. Denn ÖGS ist erst seit 2005 als eigene Sprache in Österreich anerkannt. „Das ist meine erste Sprache. Ohne Gebärden-Sprache wäre das Leben für mich total schwarz. Ich könnte es mir gar nicht vorstellen.“ Gebärden-Sprache ist aber nicht für alle zugänglich.

Ab 2026 soll in der Oberstufe der allgemein-bildenden höheren Schulen in Österreich erstmals die Gebärden-Srache als lebende Fremd-Sprache unterrichtet werden. Im Jahr 2030 wird voraussichtlich die erste Person im Fach ÖGS maturieren können.

Für Menner ist ÖGS-Dolmetsch Bedingung, damit etwas für sie möglichst barrierefrei ist. Sie hätte bei dem Film ohne ÖGS-Dolmetsch nicht mitmachen können. Deshalb war am Set des Filmes an jedem Drehtag eine Person, die ÖGS gedolmetscht hat. So konnten alle miteinander kommunizieren. Die Kosten dafür hat die Produktion selbst getragen. Es gab keine eigene Förderung für ÖGS. „Wir hatten für diesen Film über 2,7 Millionen Euro Budget“, sagt Regisseurin Marie-Luise Lehner. „Es stimmt einfach nicht, dass wir uns Dolmetschen nicht leisten können.“ ÖGS-Dolmetsch ist in Österreich aber immer noch selten. 

Der Österreichische Gehörlosen-Bund findet: Gehörlose Menschen sind eine Gruppe Menschen mit eigener Kultur und eigener Sprache. Der Bund fordert deshalb mehr Möglichkeiten für ÖGS in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft. Dann wäre eine gleichberechtigte Teilhabe für Menschen wie Menner leichter möglich. 

Menner würde gerne weiter als Schauspielerin arbeiten. Dass das vielleicht nicht leicht wird, weiß sie. Aber sie fügt hinzu: „Oft wird Menschen mit Behinderungen gesagt: Das ist leider nicht möglich für dich. Da denke ich mir dann: Entschuldigung, Moment, aber die Person kann das sehr wohl.“ Menner sagt: Sie kann alles schaffen, auch wenn es vielleicht schwieriger ist. Das möchte sie anderen Menschen mit Behinderungen mitgeben: „Du schaffst alles.“ 

Geschrieben Von

Artin Madjidi

Und von

Clara Porak

Redaktion

Lisa Kreutzer

Lektorat

Bianca Riedmann

Produziert von

Lisa-Marie Lehner