Mohamed Amjahid ist Journalist und Autor. Er hat ein Buch über Polizei-Gewalt geschrieben. Das Buch heißt: Alles nur Einzelfälle? Darin geht es um das System hinter Polizei-Gewalt. Er fragt: Wie kann Sicherheit für unterschiedliche Menschen aussehen?
Sandra Schmidhofer: Die Polizei soll für Sicherheit und Ordnung sorgen. Manche Menschen sagen aber: Sie fühlen sich von der Polizei nicht geschützt. Manche sagen sogar: Sie haben Angst vor der Polizei. Woran liegt das?
Mohamed Amjahid: Die Polizei soll alle schützen. Aber in Wirklichkeit bringt sie viele Menschen aktiv in Gefahr. An Grenzen, Bahnhöfen oder Flughäfen betreibt die Polizei Racial Profiling. Das heißt: Die Polizei kontrolliert bestimmte Gruppen stärker als andere. Zum Beispiel wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer angenommenen Herkunft. Sie machen das, weil sie denken: Diese Person ist nicht deutsch und nicht weiß. Von Racial Profiling sind vor allem Männer betroffen. Aber Racial Profiling ist verboten. Es gibt noch eine Gruppe, die durch die Polizei gefährdet wird: Menschen in psychischen Ausnahme-Situationen. Sie sind besonders betroffen, wenn es um tödliche Polizei-Gewalt geht.
Sandra Schmidhofer: Wissenschaftler*innen sagen: Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht grundsätzlich gefährlicher als Menschen ohne psychische Erkrankungen. Trotzdem machte zum Beispiel die Regierung in Hessen dieses Jahr einen Vorschlag, ein Gesetz zu ändern. In der Regierung in Hessen sind die Parteien CDU und die SPD. Für diesen Vorschlag gab es viel Kritik. Sie wollten, dass die Polizei in bestimmten Fällen Informationen über psychisch erkrankte Menschen bekommen soll. Warum?
Mohamed Amjahid: Die Idee dahinter ist: Wenn die Polizei weiß, wer psychisch erkrankt ist, kann sie sich in Einsätzen besser verhalten. Aber das stimmt nicht.
Ich habe mir viele verschiedene Fälle von tödlicher Polizei-Gewalt gegen psychisch erkrankte Menschen angesehen. Zum Beispiel Ante P. in Mannheim, Josef B. in Köln, Mohamed Idrissi in Bremen – die Polizist*innen kannten die Personen schon vor dem Einsatz. Und trotzdem wurden sie getötet. Polizist*innen sind nicht ausgebildet, Situationen mit psychisch erkrankten Menschen zu beruhigen. Sondern sie sind ausgebildet, sich selbst zu schützen. Wenn es sein muss, mit einem Schuss.
Sandra Schmidhofer: Ist es sinnvoll, Polizist*innen in Situationen zu rufen, in denen Menschen in psychischen Ausnahme-Situationen sind?
Mohamed Amjahid: Diese Frage habe ich sehr vielen Wissenschaftler*innen gestellt, die sich kritisch mit der Polizei auseinandersetzen. Und sie haben gesagt: Es ist nicht sinnvoll. Für Personen in psychischen Ausnahme-Situationen wird die Situation oft gefährlicher, wenn die Polizei dazukommt. Und hier liegt ein Problem: In Österreich und Deutschland rufen die meisten Menschen die Polizei, wenn sie eine Person in einer psychischen Ausnahme-Situation sehen. Weil wir es so gelernt haben.
Sandra Schmidhofer: Es gibt Krisen-Dienste und sozial-psychiatrische Dienste. Dort arbeiten Fach-Personen. Sie wissen, wie man Menschen in einer psychischen Krise gut beruhigen kann. Polizist*innen können solche Krisen-Dienste zu Einsätzen dazuholen. Aber: Sie werden nur selten dazu geholt. Zum Beispiel, weil sie nicht immer rund um die Uhr erreichbar sind.
Mohamed Amjahid: Das ist ein Fehler im System. Menschen können auch mitten in der Nacht eine psychische Krise haben. Aber wenn niemand erreichbar ist, kann man auch niemanden dazuholen. Expert*innen haben mir aber auch erzählt: Die Polizei will Krisen-Dienste oft gar nicht mitnehmen. Manche verzichten darauf, weil Einsätze dann vielleicht länger dauern. Manchmal kann es mehrere Stunden brauchen, um eine psychische Ausnahme-Situation zu beruhigen. Man muss mehr Papiere und Formulare ausfüllen. Das mögen viele Einsatz-Leitungen nicht. Das Problem ist also nicht nur die Struktur, sondern auch die Haltung von Polizist*innen.
Sandra Schmidhofer: Viele der getöteten Menschen in psychischen Ausnahme-Situationen waren Schwarze Personen oder People of Color. Muss sich die Polizei stärker mit dem Thema Rassismus beschäftigen?
Mohamed Amjahid: Das Thema Rassismus ist bei der Polizei besonders problematisch. Das Problem ist: Menschen, die bei der Polizei arbeiten, haben mehr Macht als andere. Zum Beispiel auch, weil sie Waffen tragen. Deswegen ist Rassismus in der Polizei noch gefährlicher als Rassismus bei anderen Personen.
Sandra Schmidhofer: In vielen deutschen Bundes-Ländern gibt es in der Polizei-Ausbildung Schulungen über psychische Erkrankungen und psychische Ausnahme-Situationen. Warum reicht das nicht aus?
Mohamed Amjahid: Ich finde es gut, wenn es verpflichtende Fortbildungen gibt. Aber die Fortbildungen sehen in jedem Bundes-Land anders aus. Jede Landes-Polizei macht das, was sie gerade für richtig hält. Ich fände es wichtiger, die Gesundheit von Menschen zu verbessern. Es wäre wichtiger, Psychiatrien besser zu finanzieren und mehr Therapie-Plätze anzubieten. Es wäre wichtiger, traumatisierten Geflüchteten eine gute Betreuung zu geben. Es wäre wichtiger, auch als Gesellschaft über Menschen-Würde zu diskutieren. Dass Menschen-Würde für jeden Menschen gelten muss, nicht nur für gesunde Menschen.
Sandra Schmidhofer: Du sagst: Die Haltung von Polizist*innen kann ein Problem sein. Du sagst auch: Das zeigt sich zum Beispiel in der „Cop-Culture“. Was bedeutet „Cop-Culture“ und warum ist sie vielleicht gefährlich?
Mohamed Amjahid: „Cop-Culture“ bedeutet: der absolute Zusammenhalt zwischen Polizist*innen. Sie halten zueinander, auch wenn Kolleg*innen etwas falsch gemacht hat. Nicht alle Menschen in der Polizei sind Neo-Nazis. Aber wenn ein*e Polizist*in rechts-extreme Dinge sagt, wird sie eher nicht von anderen Kolleg*innen verraten. Dann sagen die anderen: So ist dieser Kollege oder diese Kollegin eben. Und wenn doch mal jemand etwas dagegen sagt, gibt es für diese Person negative Konsequenzen. Manche werden gemobbt oder ins Archiv versetzt. Es gibt Fälle von Polizist*innen, die öffentlich Kritik geäußert haben. Die haben danach Mord-Drohungen von ihren Kolleg*innen bekommen. „Cop-Culture“ ist schon lange ein Problem.
Sandra Schmidhofer: Du fragst in Deinem Buch: Was, wenn wir die Polizei ganz abschaffen? Was ist Deine Antwort darauf?
Mohamed Amjahid: Viele Menschen zucken zusammen, wenn sie diesen Vorschlag hören.
Aber ich war sehr viel unterwegs, auch an Orten, wo es nur sehr wenig Polizei gibt. Wenn dort ein Streit ausbricht, versucht man ihn mit Dialog und Kommunikation zu lösen. Man nennt das auch „Transitional Justice“. Das geht vielleicht nicht immer. Ich glaube nicht, dass das bei Terrorismus oder sexualisierter Gewalt funktioniert.
Aber in Deutschland finden viele Menschen Strafen gut. Auch bei Kleinigkeiten.
Viele finden: Wenn jemand ohne Ticket U-Bahn fährt, soll die Person bestraft werden. Viele Leute sitzen im Gefängnis, weil sie kein Ticket hatten und die Strafe nicht bezahlen konnten.
Was wäre, wenn wir da nicht die Polizei und das Gefängnis wollen? Ich glaube, es wäre besser für die Sicherheit und den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Sandra Schmidhofer: Du sprichst von gesellschaftlicher Verantwortung. Ist das auch wichtig, wenn wir über Menschen in psychischen Ausnahme-Situationen sprechen?
Mohamed Amjahid: Wir müssen uns fragen: Wie soll Sicherheit für uns aussehen? Wollen wir mehr Polizei oder bessere Sozial-Arbeit? Mehr Polizei oder günstigere Wohnungen, damit es weniger Obdachlosigkeit gibt? Mehr Polizei oder eine bessere Unterstützung für Menschen, die von Drogen abhängig sind? Ich finde es auch wichtig, sich zu fragen: Wie können wir als Gesellschaft vulnerable Gruppen schützen? Also Menschen, die oft Gewalt erleben. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind eine vulnerable Gruppe. Auch sie müssen geschützt werden.
Du willst mehr zum Thema Polizei und ihren Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahme-Situationen erfahren?
Wir haben gemeinsam mit Journalist*innen des ZDF Magazin Royale zu Polizei-Einsätzen bei Menschen in psychischen Ausnahme-Situationen recherchiert.
Weitere Texte kannst Du hier lesen
Die ganze Sendung siehst Du hier: (Link zu Polizei-Video ZMR)
In Gebärden-Sprache hier: (Link)
Eine Zusammen-Fassung der Sendung in einfacher Sprache findest Du hier: (Link ZF)
Geschrieben Von
Sandra Schmidhofer
Lektorat
Bianca Riedmann
Redaktion
Clara Porak
Fotos
Andreas Hornoff
Jetzt anmelden!
Unser kostenloser Newsletter, der Dir hilft Barrieren besser zu erkennen. Jede Woche eine kurze Geschichte, ein Fakt und ein Einblick in unsere inklusive Redaktion.
Du kannst dich jederzeit wieder abmelden - einen Link dazu findest du in der Fußzeile von jedem Newsletter. Mit der Anmeldung stimmst du unserer Datenschutzerklärung zu.
Bitte bestätige Deine Anmeldung!
Bitte bestätige die Anmeldung zu Emails von andererseits mit dem Link in deinem Postfach.
Andere Texte lesen
