Dieser Text ist gemeinsam mit der Zeitung Falter entstanden.
Für Menschen mit Behinderungen kann Dating zu einem Hürdenlauf werden. Menschen, die einen Rollstuhl nutzen, fragen sich, ob es am Eingang zur Bar eine Rampe gibt. Ein Theater-Besuchist für Menschen mit Lern-Schwierigkeiten keine Option, denn sie können die komplizierte Sprache dort kaum verstehen. Und dann stellt sich die Frage, ob Treffen überhaupt zustande kommen. Auf den foto-basierten Apps zählt vor allem der erste Eindruck.
In Österreich leben rund 760 Tausend Menschen mit Behinderungen, das ist fast jede zehnte Person. Das Land hat sich im Jahr 2008 mit der UN-Behindertenrechts-Konvention dazu verpflichtet, ihnen Teilhabe zu ermöglichen. Das ist eine Vereinbarung über die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen.
Ziel ist es, dass alle uneingeschränkt leben können. Seither hat sich viel getan. Die Stadt Wien hat 2024 sogar einen Preis von der Europäischen Union bekommen.
Von einer wirklich inklusiven Gesellschaft ist Österreich jedoch weit entfernt. Im Jahr 2023 prüften die Vereinten Nationen, wie es um die Rechte von Menschen mit Behinderungen bestellt ist. Das Ergebnis: Bis heute stoßen sie fast überall auf Barrieren. Im Alltag, in der Arbeit, in der Ausbildung – und auch in den Köpfen der Menschen. Besonders bei der Partnersuche gebe es Vorurteile, sagen Betroffene.
Laut Statistik Austria sind Menschen mit Behinderung zwar häufiger verheiratet als Menschen ohne Behinderung. Dabei wurden auch alle Menschen mit alters-bedingten Behinderungen miteingerechnet. Ältere Menschen sind eben häufiger verheiratet.
Laut dem deutschen Arbeitsministerium sind mehr als vier von fünf Menschen, die in einer Behinderten-Einrichtung oder anderen betreuten Wohnformen leben, nicht verheiratet. So genau weiß man also nicht um den Beziehungs-Status von Menschen mit Behinderung.
So viel ist aber sicher: Menschen mit Behinderungen fühlen sich häufiger einsam als Menschen ohne. Das zeigt unter anderem der Teilhabe-Bericht des deutschen Paritätischen Gesamt-Verbandes von 2020.
Zum Valentinstag erzählen drei Menschen mit Behinderungen von ihren Dating-Erfahrungen und ihren Wünschen.
„Jedes Mal denke ich mir:
Hoffentlich akzeptiert er mich so, wie ich bin“
Lena, 42: Ich suche aktuell keinen Freund. Wenn jemand kommt, hätte ich aber nichts dagegen. Die aktive Suche habe ich aber aufgegeben. Als ich noch gesucht habe, wollten die Männer immer nur das eine. Ich habe auch einmal Tinder ausprobiert. Das ist eine App, wo man Leute kennenlernen kann, aber das habe ich auch schon aufgegeben, weil die Leute dort eher Sex wollen.

Ich brauche aber viel Zeit. Erst einmal ist es wichtig, viel gemeinsam zu reden und sich kennenzulernen. Irgendwann verliebt man sich dann. Ich spüre das dann immer im Bauch.
Es ist wie eine Aufregung. Ich habe das aber lange nicht gehabt. Gefühlt bin ich schon ewig Single. Ich hatte aber schon Dates. Ich habe die Männer immer im Kaffeehaus getroffen, aber der Passende war nicht dabei. Einmal ist ein Mann sofort wieder gegangen, nachdem er mich gesehen hat. Das war schlimm.
Manchmal stelle ich mir meinen Traummann vor. Er hat schwarze Haare und ist attraktiv. Ich weiß nicht, warum, ich hätte aber gerne einen Mann ohne Behinderung. Er soll loyal und aufgeschlossen sein und mich akzeptieren, wie ich bin. Wie ein bester Freund, mit dem ich über alles reden kann. Ich würde mit ihm dann verschiedene Aktivitäten machen. Schwimmen gehen oder auch einfach in der Wohnung rumhängen.
Ich würde für meinen Freund auch Sachen machen, die mich nicht interessieren. Zum Beispiel zu einem Fußballspiel gehen.
Aber Dating mit Behinderung ist schwieriger. Ich habe unter anderem eine spastische Tertrapaese. Das heißt, dass meine Arme und Beine manchmal zucken. Man sieht es mir an, dass ich behindert bin und jedes Mal denke ich mir: Hoffentlich akzeptiert er mich so, wie ich bin. Das bedeutet Liebe für mich: Bedingungslos lieben, egal was der Mensch hat oder wie er ist.
Es gibt viele Vorurteile über Menschen mit Behinderung. Zum Beispiel, dass wir nicht so gut arbeiten können oder dass wir nichts wert sind. Ich arbeite aber zweimal in der Woche in einer Promotionfirma und helfe dort im Büro.
Ich hatte früher mal einen Freund und ich weiß, dass einen die Liebe verändert. Man denkt immer nur an den Menschen und ich habe ihm drei Mal am Tag geschrieben. Und wenn er blöd zu mir war, habe ich mir das mehr zu Herzen genommen.
Aber das ist schon lange her, ich weiß nicht mehr, wie lange. Generell glaube ich, dass Liebe sehr wichtig für die Welt ist. Es gibt so viel Hass und Krieg, mit mehr Liebe wäre die Welt ein besserer Ort.
„Der Rollstuhl war für mich früher eine Ausrede“
Nico, 26: Ich bin schon fast mein ganzes Leben lang querschnittsgelähmt. Das bedeutet, dass ich nicht gehen kann. Als ich zwei Jahre alt war, hatte ich einen schweren Autounfall. Seitdem sitze ich im Rollstuhl. Eigentlich ist das für mich nicht so schlimm. Ich kann mich nämlich gar nicht mehr erinnern, wie es ist, gehen zu können.
Außerdem bin ich Rollstuhltennis-Profi. Ich gehe fast jeden Tag trainieren und war bei den Paralympics in Paris. Ich setze mich auch gemeinnützig ein und sammle Spenden, damit sich auch andere Menschen einen Sport-Rollstuhl kaufen können.

Ich kann eigentlich alles machen, was ich möchte. Deswegen bin ich heute ein sehr positiver und glücklicher Mensch. Das war aber nicht immer so. Als Jugendlicher habe ich oft gedacht, dass Mädchen mich nicht mögen, weil ich im Rollstuhl sitze. Aber es lag eher daran, dass ich schüchtern war und komisch mit den Mädchen geflirtet habe.
Das haben mir damals meine Freunde gesagt und ich glaube, sie hatten Recht. Der Rollstuhl war für mich früher eine Ausrede.
Als ich erwachsen wurde, hatte ich keine Probleme mehr, Frauen kennenzulernen. Das Kennenlernen lief häufig über das Internet. Discos waren keine guten Orte für mich. Discos sind nämlich oft im Keller und da müssen mich immer meine Freunde heruntertragen. Außerdem sind immer die Betrunkenen über mich gestolpert.
Inzwischen habe ich seit vier Jahren eine Freundin. Ich kenne sie, seitdem ich 14 bin. Sie ist die beste Freundin von meiner Cousine. Sie ist wirklich eine tolle Person. Ich habe in meinem Leben schon viele tolle Frauen kennengelernt, denen der Rollstuhl egal war. Diese Menschen sind nicht so oberflächlich. Der Rollstuhl ist also ein bisschen wie ein Filter, der Menschen mit Vorurteilen direkt aussortiert.
Meine Freundin und ich unternehmen viel gemeinsam. Letztens waren wir in Paris, aber das war sehr anstrengend, weil die Stadt nicht sehr rollstuhlgerecht ist. Wenn ich mit meiner Freundin unterwegs bin, schauen sie die Menschen oft mitleidig an. Sie denken, dass sich meine Freundin wie eine Kranken-Pflegerin um mich kümmern muss.
Aber in Wahrheit spielt meine Behinderung in unserer Beziehung kaum eine Rolle, weil ich fast alles alleine kann. Nur wenn ich in ein Auto einsteigen muss, hilft sie mir. Es dauert einfach alleine viel länger als zu zweit.
Ich wünsche mir von den Leuten, dass sie ihre Vorurteile abbauen. Ich habe auch ein Buch geschrieben, wo ich von meinen Erfahrungen erzähle. Ich merke oft, dass die Leute sich gar nicht trauen, mir Fragen zu stellen. Ich hoffe, irgendwann haben sie weniger Berührungs-Ängste, weil auch das Inklusion ist.

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„Die Menschen merken sofort,
dass ich behindert bin“
Volkan, 29: Ich war schon zwei Mal in einer Beziehung. Die erste Freundin hatte ich, bevor ich krank wurde. Damals war ich noch Schüler. Ich glaube, ich war 15 oder 16 Jahre alt, als ich Multiple Sklerose bekommen habe. Das ist eine Nerven-Krankheit. Damals haben Ärzte im Krankenhaus eine Operation an meinem Kopf gemacht und danach konnte ich nicht mehr gehen und sprechen. Ich musste alles neu lernen, wie ein kleines Kind.

Ein paar Jahre später, mit Mitte 20, hatte ich noch einmal eine Freundin. Ich habe sie im Park angesprochen. Wir haben uns drei Monate lang getroffen. Ich habe mich neben ihr frei wie ein Vogel gefühlt. Die Momente waren so schön, deswegen wollte ich ihren Vater treffen. Ich wollte, dass er mich als Partner für seine Tochter akzeptiert, damit wir zusammen eine Zukunft haben können.
Wir haben uns dann in einem Café getroffen. Der Vater, meine Freundin und ich. Das Treffen war nur sehr kurz. Der Vater war streng und er hat mich sofort komisch angeschaut wegen meiner Behinderung. Dann hat er gesagt: „Schau dich an und schau meine Tochter an. Du kannst meiner Tochter niemals ein gutes Leben geben.“
Ich wusste gar nicht, was ich sagen soll. Ich habe danach nur noch den Tee für alle bezahlt und bin nachhause gegangen. Zuhause habe ich mich tagelang unter der Bettdecke verkrochen und nur geweint. Meine Mutter hat mich gefragt, was los ist, aber ich wollte niemandem zeigen, wie traurig ich bin.
Ich dachte, dass ich wirklich eine Zukunft mit diesem Mädchen haben könnte. Aber danach hatten wir keinen Kontakt mehr. Wenn ich heute ein hübsches Mädchen sehe, frage ich mich immer: Will sie mich überhaupt haben?
Weil ich krank bin. Das tut mir nicht gut. Ich kann auch nicht so gut sprechen und traue mich deshalb manchmal nicht, die Frauen anzusprechen. Meistens sagen die Frauen sowieso Nein. Die Menschen merken sofort, dass ich behindert bin. Sie sehen es an der Art, wie ich gehe oder spreche.
Menschen sollten sich mehr miteinander zutrauen. Das wünsche ich mir von der Gesellschaft. Ich habe auf jeden Fall noch Hoffnung. Ich habe erst ein Drittel meines Lebens gelebt. Mein Traum ist es, irgendwann eine Frau und eine eigene Familie zu haben. Einfach leben wie ein normaler Mensch, ohne dass immer über meine Behinderung gesprochen wird.

Info
760 Tausend Menschen mit Behinderung leben in Österreich
5 Mal häufiger fühlen sich Menschen mit Behinderung einsam – im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung
80 Prozent der Menschen in Behinderteneinrichtungen sind ledig, also nicht verheiratet
Protokolle Von
Luise Jäger
und
Lale Ohlrogge
Fotos von
Ramona Arzberger