Toxische Männlichkeitsbilder betreffen uns alle. Männer mit Fluchterfahrung sind aber oft besonders mit ihnen konfrontiert. So auch Omar Khir Alanam, der vor dem Assad-Regime aus Syrien geflohen ist und seit 2014 als Autor in Graz lebt und arbeitet. Ein Gespräch über den Umgang mit Vorurteilen und seine Suche nach einem neuen Verständnis von Männlichkeit.

andererseits: Was bedeutet männlich sein für dich?

Khir Alanam: Das ist eine Frage, die mich lange beschäftigt. Heute bedeutet für mich männlich sein, dass ich zu mir stehe. Zu meinen Fehlern, zu meinen Schwächen, zu meinen Stärken. Früher habe ich nicht weinen können, weil ich ein Mann bin. Weil ein Mann ist stark und weint nicht. Aber das war in meiner Pubertät.

Woher kommt diese Veränderung?

Das ist nicht von heute auf morgen passiert. Es war eine Reise. Ich war immer auf der Suche nach dem richtigen Mann. Ich wollte der richtige Mann sein. Und dann war immer die Frage: was ist ein richtiger Mann? Ich erinnere mich früher, als ich noch ein Kind war, habe ich immer Kaffee trinken wollen. Wenn ich arabischen Kaffee getrunken habe, habe ich einen Schnurrbart auf der Oberlippe bekommen. Dann war ich zufrieden, weil ich jetzt ein richtiger Mann war. Später hat Mann-sein für mich bedeutet, stark zu sein, Geld zu verdienen, sich um die anderen zu kümmern und Verantwortung zu übernehmen. Und nach Jahren der Suche hat es sich entwickelt, bis ich zum heutigen Bild gekommen bin.

Wer oder was hat dich da beeinflusst?

Ich habe es selbst immer wieder reflektiert, weil es mich so beschäftigt hat. Und dann habe ich Erfahrungen gemacht und gesehen: das ist nicht der richtige Mann. Dann wusste ich: ich muss die Bilder, die ich von der Gesellschaft bekommen habe, hinterfragen. Vielleicht hat es mir geholfen, einer zu sein, der schreibt. Ein Künstler, der das nicht nur aufnimmt, sondern nachfragt und kritisch dem gegenüber ist.


Mein Bedürfnis zu weinen, ist für mich stark.

Ein Vorurteil sagt: Männer müssen stark sein. Was bedeutet stark sein heute für dich?

Ich kann das bestätigen, aber anders als das viele andere verstehen würden. Man ist stark, indem man zu seiner Schwäche steht. Indem ich zeige dass ich nicht immer stark bin. Mein Bedürfnis zu weinen, ist für mich stark. Dass ich auch nicht die Bilder von außen erfülle. Für mich könnte der Satz auch anders formuliert sein: Der Mensch muss stark sein. Das gilt für mich für Frauen, wie Männer.

Über Männer mit Fluchterfahrung gibt es nochmal ganz andere Bilder. Welche Vorurteile über geflüchtete Männer erlebst du?

Das typische Bild von einem arabischen Mann ist, dass sie über den Frauen stehen, sie besitzen. Bei machen stimmt es auch. Darüber muss man auch reden. Aber natürlich stört es mich, wenn ich so gesehen werde. Das erlebe ich immer. Bei mir wurde zum Beispiel davon ausgegangen, dass ich als muslimischer Mann viele Frauen habe. Oder, dass man mir sagt: alle schlagen ihre Frauen. Zur meiner Partnerin wurde gesagt: Wenn du einmal Kopftuch trägst, werde ich nie mehr mit dir reden. Weil es für die Person klar war, dass ich sie dazu zwingen werde. Oder eben dieses: Du bist eh okay, aber die anderen Geflüchteten… So etwas kommt immer wieder vor.

Ich muss immer beweisen, dass ich doch nicht so bin.

Was lösen die Vorurteile aus?

Am Anfang hat mich das sehr verletzt. Wo ich nach Österreich kam, hatte ich einen sehr wackeligen Boden unter mir. Man versucht Kontakt an die Gesellschaft zu knüpfen. Versucht einen Schritt auf die anderen zuzumachen. Wenn man so etwas erlebt, will man sich wieder zurückziehen. Weil man sich schützen will. Es löst das Gefühl aus, dass ich immer verdächtig bin. Ich muss mich immer rechtfertigen. Ich muss immer beweisen, dass ich doch nicht so bin. Das ist sehr, sehr mühsam und nicht gesund. Irgendwann will man deswegen gar keinen Kontakt mit anderen mehr. Leider. Das führt dazu, dass diese Spaltung zwischen Geflüchteten und Einheimischen noch größer wird, weil der Kontakt immer weniger wird. Und dadurch werden diese Vorurteile noch stärker, weil es keine Begegnung mehr gibt, die diese Vorurteile weg trägt.

Wie gehst du heute damit um?

Heute stört es mich nicht. Ich spüre mich nicht mehr nur in der Rolle des Geflüchteten. Mein Selbstbewusstsein ist heute stärker. Ich versuche, das nicht persönlich zu nehmen. Ich kann darüber lachen, weil ich weiß, es ist nicht mein Problem. Das Problem liegt bei der anderen Person, die diese Vorurteile gegenüber mir hat. Ich will mich nicht verteidigen. Das ist nicht mein Stil. Sondern es geht darum, dass ich versuche zu erklären, zu erzählen. Damit es mehr Verständnis gibt und keinen Platz für Vorurteile. Das versuche ich auch durch meine künstlerische und literarische Arbeit.

In einem Poetry-Slam-Text von dir gibt es die Zeile: „Ich bin der, den jeder Politiker kennt.“ Warum glaubst du werden in der Politik immer wieder Vorurteile über geflüchtete Männer bedient?

Politik heißt Geschäft. Es geht nur um das Geschäft. Oft ist das Thema [Anm.: Flucht und Migration] eine Karte, mit der die Politiker spielen. Es wird immer über Probleme gesprochen. Ich habe selber erlebt, dass Politiker das Thema ausnutzen, unabhängig davon, wie sie privat dazu stehen. Auch die, die zeigen wollen: wir sind die Gutmenschen und so weiter. Ich vermisse in der Politik eine sachliche Diskussion über diese Thematik. Deshalb würde ich das auch nicht als Vorurteile bezeichnen, sondern einen bewussten Versuch Politik zu machen. Sie nutzen das aus, um abzulenken.

Als Sebastian Kurz gesagt hat, die Migranten sind schuld, dass der Coronavirus sich verbreitet, hat das so nicht gestimmt. Und trotzdem wurde das gesagt, um abzulenken. So wurde nur darüber gesprochen. Die FPÖ macht auch mit ihrer rassistischen Propaganda Politik, weil sie genau weiß, dass es Leute gibt, denen das gefällt. Es gibt Leute, die Hass in sich haben. Die immer andere brauchen, die schlechter und böser sind. Die daran schuld sind, dass ihr Leben schlecht ist. Und die Politik weiß das genau.

Nebe politischen Fragen geht es in deinen Texten auch viel um Gefühle. Ist es dir schwer gefallen, da so offen zu sein?

Ehrlich gesagt nein. In meinen Texten teile ich viel mit, das sehr persönlich ist und mich angreifbar und offen macht. Ich glaube ein Grund wieso es mir leichter fällt, ist, dass ich nicht auf Arabisch schreibe, sondern auf Deutsch. Das ist nicht meine Muttersprache und das schafft für mich eine gewisse Distanz. Es ermöglicht es mir, mich stärker auszudrücken, dass ich keine Angst habe.

Was muss sich im Bild von Männlichkeit ändern und wie kann das gelingen?

So viel, das kann ich gar nicht alles aufzählen. Wir müssen alles kritisch hinterfragen. Zum Beispiel trage ich jetzt immer Happy Socks, so farbige Socken. Früher hätte ich mich nie getraut, solche Socken zu tragen oder Farben, die von vielen eher als Mädchenfarben gesehen werden. Ich wollte mich nicht von anderen verletzen oder verspotten lassen. Ich war sensibel. Und heute ist das nicht mehr so.

Also wir sollen auch die Männer stärken, damit sie in der Lage sind, nicht nur alles anzunehmen und sich nach anderen zu orientieren, was dieses Bild vom Mann sein sagt. Sondern für sich kritisch neu definieren, was ein richtiger Mann ist.

Gespräch: Luise Jäger und Emilia Garbsch

Foto: Richard Griletz