Menschen mit Behinderungen sind von der Klima-Krise oft stärker betroffen als Menschen ohne Behinderungen. Deshalb haben wir euch, unsere Leser*innen, gefragt: Was macht euch bei der Klima-Krise am meisten Sorgen? Und wie helft ihr euch gegenseitig?
Dieser Text spielt in Deutschland und Österreich.
Bei Hitze wird Verena Satzinger schnell stark schwindelig. Sie lebt in der Stadt Fürth in Deutschland und hat eine Geh-Behinderung. Die 53-Jährige sagt: „Jedes Jahr gibt es mehr Tage, an denen ich kaum vom Ventilator weg kann.“ Der Klima-Wandel geht schnell voran. Expert*innen sagen: Besonders der Juni und der August waren in Deutschland und Österreich in diesem Jahr wieder zu warm. In Österreich sterben jedes Jahr mehrere hundert Menschen wegen der Hitze. In Deutschland sind es mehrere tausend Menschen jedes Jahr. Und Menschen mit Behinderungen sind davon oft stärker und früher betroffen.
Eigentlich dürfte es diesen Unterschied nicht geben. Denn Deutschland und Österreich haben sich zur Behinderten-Rechts-Konvention der Vereinten Nationen verpflichtet. Darin steht, es müsse alles getan werden, um in Gefahren-Situationen den Schutz und die Sicherheit von Menschen mit Behinderungen genauso wie von Menschen ohne Behinderungen zu gewährleisten. Also auch bei Natur-Katastrophen und Extrem-Wetter. Extrem-Wetter sind ungewöhnlich starke oder ungewöhnlich lange Wetter-Ereignisse. Zum Beispiel Stürme oder Überschwemmungen. Trotzdem hat erst vor Kurzem eine Studie aus Tübingen gezeigt: Das passiert oft nicht. Von Warnungen bis zu Not-Unterkünften ist vieles nicht barrierefrei.
Deshalb haben wir eine Umfrage gemacht und euch, unsere Leser*innen, gefragt: Was macht euch bei der Klima-Krise am meisten Sorgen? Und wie helft ihr euch gegenseitig?
Mehr als 50 Personen haben bei der Umfrage mitgemacht. Viele Menschen haben von den gleichen Problemen geschrieben: Hitze und andere Extrem-Wetter machen Angst. Oft fehlen wichtige Informationen. Was, wenn man bei einer Katastrophe nicht gerettet werden kann? Wie soll die Zukunft aussehen?
Wir haben euch auch gefragt: Was macht euch beim Thema Klima-Krise Hoffnung? Hier könnt ihr die Antworten lesen.
Manche Menschen können sich nicht gut selbst retten. Und in den Rettungs-Plänen werden Menschen mit Behinderungen oft nicht mitgedacht.
Bei der Flut im Ahrtal im Jahr 2021 sind 12 Menschen gestorben, weil sie nicht gewarnt wurden und sich nicht retten konnten. Wir haben eine Doku dazu gemacht. Du kannst sie hier ansehen:
www.andererseits.org/rette-sich-wer-kann/
Kaum Informationen in Leichter Sprache
Verena Satzinger hat auch bei unserer Umfrage mitgemacht. Sie sagt: „In Hitze-Schutz-Plänen steht oft drin, wo es kühle Orte in der Stadt gibt. Aber es steht nicht unbedingt drin, welche kühlen Orte barrierefrei zugänglich sind. Das ist sicher keine Absicht, aber trotzdem diskriminierend.“ Es fehlen auch oft wichtige Informationen in Leichter Sprache oder in Gebärden-Sprache. Zum Beispiel Rettungs-Pläne in manchen Orten in Deutschland. Oder Informationen über die Arbeit des Bundes-Amtes für Bevölkerungs-Schutz und Katastrophen-Hilfe. Wenn es barrierefreie Informationen gibt, sind sie oft nicht leicht zu finden.
Das kritisiert auch eine aktuelle Studie der Universität in der Stadt Tübingen: Dass es zu wenige barrierefreie Informationen gibt, ist ein Problem. Besonders dann, wenn der nächste heiße Sommer kommt, oder die nächste Natur-Katastrophe. Alle Menschen müssen Warnungen bekommen. Warnungen, die man hören, sehen und verstehen kann.
Doch guter Katastrophen-Schutz fängt schon vor den Warnungen an, sagt der Wissenschaftler Friedrich Gabel. Um sich vor extremer Hitze schützen oder vor einer Flut retten zu können, muss man schon im Alltag anfangen. Gabel forscht zu inklusivem Katastrophen-Schutz an der Universität Tübingen. Das heißt: Er forscht, wie alle Menschen in gefährlichen Situationen sicher sind. Auch Menschen mit Behinderungen.
Schon im Alltag anzufangen kann zum Beispiel heißen: In einem Hochwasser-Gebiet wird ein Deich gebaut. Der kann Überschwemmungen verhindern. Oder dass sich Menschen mit Behinderungen vernetzen. Sich gegenseitig Unterstützung geben oder sich warnen, wenn ein Notfall ist.
Das nennt man auch „Mutual Aid“. Das ist Englisch und heißt: gegenseitige Hilfe. In den USA gibt es viele solche Mutual-Aid-Netzwerke, bei denen sich Menschen zusammenschließen. Sie bringen zum Beispiel bei starken Stürmen Kleidung und Essen zu Menschen, die es besonders brauchen. Sie sorgen dafür, dass niemand allein ist.
Das wünschen sich auch viele von euch. In unserer Umfrage haben viele von euch gesagt, dass sie sich ängstlich und einsam mit dem Thema fühlen. Denn die Politik tut oft nicht genug. Eine Person sagt zum Beispiel: „Mir macht vor allem Angst, den Auswirkungen schutzlos ausgeliefert zu sein.“
Das heißt: Sie befürchtet zum Beispiel, bei einem Hochwasser nicht geschützt zu sein und sich nicht helfen zu können. Eine andere Leser*in sagt: „Ich fühle mich machtlos.“ Deshalb wünschen sich viele von euch mehr Austausch. Um über Gefühle und Sorgen bei der Klima-Krise zu reden oder um Tipps gegen Hitze zu sammeln und Pläne zu schmieden, was man für das Klima tun kann.
Gemeinschafts-Gefühl und schnelle Informationen
Verena Satzinger nutzt eine Chat-Gruppe zum Austausch. Darin helfen sich etwa 25 Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen gegenseitig. Sie sprechen über alle möglichen Barrieren. Oft geht es um kaputte Aufzüge in der Stadt Fürth, wo alle Mitglieder wohnen. Aber es geht auch um Gefahren durch Extrem-Wetter. Die Menschen in der Chat-Gruppe warnen sich gegenseitig, wenn es sehr heiß wird oder ein Sturm kommt. Oder sie fragen nach Unterstützung.
Zum Beispiel, wenn es draußen stürmt und man nicht alleine das Haus verlassen kann oder will. Auch Hochwasser ist ein Thema. In Fürth fließen zwei Flüsse zusammen. „Bei uns gibt es zum Beispiel ein paar Stellen, die öfter mal überschwemmt sind. Ich schreib dann die Info rein, wenn das mal wieder der Fall ist.“
Satzinger war im Vorstand eines Behinderten-Rats in Deutschland. Der Gruppen-Chat ist aus ihrer Arbeit im Behinderten-Rat entstanden. In den Gremien der Stadt müssen Menschen mit Behinderungen sehr viel kämpfen, sagt sie. Da hilft es, sich zu vernetzen. „Inklusion wird nicht automatisch mitgedacht. Nirgends. Nicht beim Bauen, nicht beim Renovieren und schon gar nicht, wenn es darum geht, mit dem Klima-Wandel umzugehen.“
Aber sie sagt auch: Menschen mit Behinderungen haben oft auch wenig Zeit und Energie, weil sie sich um Wichtigeres kümmern müssen. Ihre eigene Gesundheit zum Beispiel. Satzinger findet: „Solche Gruppen sind das Nützlichste, was man machen kann.“ Eine Nachricht sei schnell geschrieben und sie erreiche viele Menschen auf einmal.
Viele von euch haben uns ebenfalls geschrieben, dass sie sich mit anderen vernetzen: Menschen mit Behinderungen sollten „in Kontakt bleiben und sich gegenseitig warnen“ oder „andere mit Informationen versorgen.“ Andere von euch schmieden gemeinsam Notfall-Pläne oder tauschen Notfall-Kontakte aus.
Forscher Friedrich Gabel findet es „total super, sich als Community zu unterstützen.“ Es sei wichtig, dass man nicht alleine ist – und alle Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten, die jemand anderem helfen können. Auch der Austausch über die sozialen Medien hat viele Vorteile, sagt Gabel: „Man kann schnell viel Wissen weitergeben und später auf das Wissen zurückgreifen, weil es gespeichert ist und nicht verloren geht.“ Ein weiterer Vorteil sei, dass man auch einfach mitlesen kann, wenn man nicht gerne selbst aktiv schreibt, aber auch nicht alleine sein will.
Eine Studie aus den USA hat gezeigt: Wer in einem sozialen Netzwerk eingebunden ist, schafft es leichter, mit Extrem-Wetter klarzukommen. Der Grund: Die Personen waren besser informiert und wussten Bescheid, welche Unterstützung es gibt.
Gemeinschafts-Gefühl, schnelle Informationen, wertvolle Tipps – der Austausch ist für viele Menschen mit Behinderungen wichtig. Und die Wissenschaft weiß: Es kann Teil der Lösung sein. Aber dabei gibt es auch Probleme: Der Austausch findet oft nur im Privaten statt.
Selbsthilfe ist toll, sagt Forscher Gabel, aber es braucht auch professionelle Unterstützung. Und die Mithilfe der Politik. „Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen mit Behinderungen Expert*innen für ihre eigene Situation sind. Das heißt aber nicht zwingend, dass sie wissen, wie man in einer Not-Situation handelt. Hier können Profis helfen.“
Inklusiver Schutz vor Katastrophen
Forscher Gabel meint, dass die Klima-Krise für viele noch weit weg scheint. Verbände und Selbst-Vertretungen haben das Thema verschlafen, sagt er. Deswegen gibt es wenig inklusiven Katastrophen-Schutz. Aber: Das Darüber-Sprechen kann helfen, sagt Gabel. So kann man herausfinden, was man ändern muss und wie man sich vorbereiten kann. Denn die Communities von Menschen mit Behinderungen sind sehr verschieden. Alle brauchen unterschiedliche Dinge – auch beim Schutz vor Extrem-Wetter.
Wenn man noch nicht so gut vernetzt ist, rät Verena Satzinger: Verbündet euch. Fragt Interessens-Vertretungen oder Freiwilligen-Organisationen in der Nähe, ob es eine Gruppe gibt. Oder macht selbst mit Hilfe solcher Organisationen eine Gruppe auf, in der es um die Sorgen vor Risiken der Klima-Krise geht.
„Im Kleinen funktioniert das gut mit den Messenger-Gruppen“, sagt Satzinger. Aber auch ihr ist wichtig, dass die Strukturen in der Stadt gestärkt werden. Die Feuerwehr, Behörden und Ersthelfer sollen sich mit Menschen mit Behinderungen vernetzen, Schwierigkeiten melden und Anstöße liefern. Bei einer richtigen Katastrophe rufe man ja doch den Notruf.
Satzinger sagt: „Infos in Netzwerken helfen nur, Gefahren zu meiden. Wenn man in Gefahr gerät, helfen sie nicht unbedingt. Wenn jemand in den Gruppen-Chat schreibt: ‘Achtung, es kommt ein Hochwasser’, dann weiß ich zwar Bescheid – aber von denen kann mich auch keiner retten.“
Recherche und Fragen
Artin Madjidi
und
Kristina Kobl
Geschrieben von
Kristina Kobl
Redaktion
Lisa Kreutzer
Geprüft von
Nikolai Prodöhl
Gezeichnet von
Luise Jäger, Ramona Arzberger, Gabriel Gschaider