Kultur in Deutschland: Ein exklusives Vergnügen

Wir wollten von Theatern, Kultur-Ministerien, Schau-Spiel-Schulen und Ticket-Verkaufs-Stellen wissen: Wie barrierefrei ist Kultur in Deutschland? Mehr als 270 Stellen haben wir angefragt. Weniger als ein Viertel wollte uns auf alle Fragen antworten. Was wir trotzdem wissen und welche Widersprüche sichtbar wurden.

In die Oper gehen oder ins Kino. Konzerte oder Ausstellungen besuchen: Für viele Menschen selbstverständlich – für andere fast unmöglich. Kultur-Einrichtungen wie Theater-Häuser oder Museen sind in Deutschland nur selten barrierefrei. Das geht los beim Ticket-Kauf. Und es endet noch lange nicht bei der Frage, ob Menschen mit und ohne Rollstuhl im Konzert-Saal nebeneinander sitzen können. Ob es eine Führung mit Audio-Beschreibung durch ein Museum gibt. Ob eine Aufführung in Leichter oder einfacher Sprache angeboten wird. Ob Menschen das WC benutzen können, wenn sie auf einen Hebe-Lifter angewiesen sind.

Kulturelle Teilhabe ist ein Menschen-Recht. Das bedeutet: Alle Menschen haben ein Recht darauf, Kultur und Kunst zu erleben. Und: Sie haben ein Recht darauf, Kultur und Kunst zu gestalten. Selbst mitzumachen, Musik zu machen, auf der Bühne oder vor der Kamera zu stehen. Deswegen hat andererseits nachgefragt. Wir wollten herausfinden: Setzen deutsche Theater Vorgaben zur Barriere-Freiheit um? Sorgt die Politik dafür, dass Kultur inklusiv wird? Und welche Chancen haben Künstler*innen mit Behinderungen überhaupt in ihrem Beruf Fuß zu fassen?

Wir haben 248 Theater, die 3 größten Ticket-Verkaufs-Stellen, 6 Schau-Spiel-Schulen und die Kultur-Ministerien aller 16 Bundes-Länder angefragt.

Der kostenlose Newsletter für alle, die Behinderung besser verstehen wollen!

Die Anfragen haben wir mit einer Frist von einem Monat verschickt. Kurz vor der Frist haben wir eine E-Mail mit einer Erinnerung an alle verschickt, die noch nicht geantwortet hatten. Später haben wir eine weitere E-Mail geschrieben an alle Staats-Theater, die bis dahin immer noch nicht geantwortet hatten. Staats-Theater werden meistens von einem Bundes-Land getragen und teilweise finanziert. Das heißt, sie werden auch mit Steuer-Geld bezahlt. Das zahlen die meisten Menschen, die in einem Land leben. Sie haben also eine umso größere Verantwortung, ihr Geld dafür einzusetzen, dass alle teilhaben können.

Was uns überrascht hat: Zum Thema Inklusion und Barriere-Freiheit wollten uns mehr als die Hälfte aller Staats-Theater nicht antworten.  Insgesamt haben nur 57 Theater-Häuser überhaupt eine Rückmeldung gegeben. 16 davon schrieben, dass sie unseren Fragen-Katalog zur Inklusion aus Zeit-Gründen leider nicht beantworten können. Von den Schauspiel-Schulen haben 2 geantwortet. Von den Ticket-Verkaufs-Stellen gab es 3 Rückmeldungen. 2 davon beantworteten unsere Fragen, allerdings nur lückenhaft. Das Portal Reservix schrieb uns sogar: „Leider möchten wir Ihre Fragen derzeit nicht beantworten.“ Der große Mangel an Interesse zeigt deutlich: Inklusion halten viele für nicht so wichtig.

Widerspruch: Barrierefrei: Ja – aber nicht für alle

Barriere-Freiheit ist ein Begriff, der sehr unterschiedlich aufgefasst wird. In zwei Drittel der von uns befragten Theater-Häusern gibt es laut eigener Angabe eine Definition von Barriere-Freiheit. Eine Definition ist eine genaue Erklärung, was das Theater darunter versteht. Viele beziehen sich darin auf rein bauliche Maßnahmen. Also zum Beispiel: Gibt es eine Rampe für Roll-Stühle. Einige wenige Antworten zeigen den Willen, Inklusion als alle und alles umfassendes Konzept zu verstehen. Als etwas, das jeden Menschen und Bereich betrifft. Ehrlich und glaubwürdig antwortete das Theater Kampnagel Hamburg: „Barrierefreiheit ist ein Ideal: Meistens ist sie nicht perfekt. Das liegt daran, dass verschiedene Menschen verschiedene Barrierefreiheits-Bedarfe haben und sie sich manchmal widersprechen.“

Wir haben die Antworten, die wir bekommen haben, ausgewertet. Insgesamt zeigt sich: Erfüllt werden von deutschen Theatern meist nur sehr allgemeine und einfache Ansprüche an Barriere-Freiheit. Mehr als die Hälfte geben an, dass ihr Haus barrierefrei zu betreten und zu verlassen sei. Viele geben auch an, dass die Toiletten barrierefrei zugänglich seien. Doch bei genauerem Nachfragen ergibt sich ein Widerspruch:

{"chart_unique_class":"wwCWzuf7XKvIzpuI","datadata":[{"Antwort":"ja","Anteil in Prozent":50},{"Antwort":"teilweise","Anteil in Prozent":11},{"Antwort":"nein","Anteil in Prozent":17},{"Antwort":"keine Antwort","Anteil in Prozent":22}],"metadata":[{"field":"title","value":"Vorgaben für Barriere-freiheit in vielen Theatern","description":"chart title, visible + reader"},{"field":"description","value":"Frage: Gibt es in Ihrem Haus verbindliche Vorgaben zur Barrierefreiheit?"},{"field":"usage","value":"Benutzung: Diese Daten-Grafik ist interaktiv. Das heißt: man kann sie auf verschiedene Arten verwenden. Zum Beispiel mit der Maus oder einem Handy. Wenn man auf einzelne Balken tippt oder sie mit der Maus berührt, bekommt man weitere Informationen. Man kann auch die Tabulator-Taste verwenden. Mit ihr kommt man zu den einzelen Datenpunkten. Mit einem Vorlese-Programm (Screenreader) sind die Datenpunkte als Liste erreichbar.","description":"chart subtitle/description, visible + reader"},{"field":"yaxis","value":"Antwort"},{"field":"xaxis","value":"Anteil in Prozent"},{"field":"text-description","value":"Ein Balkendiagramm, das Antworten auf die Frage, ob es verbindliche Vorgaben zur Barrierefreiheit gibt, darstellt. \"Ja\" (es gibt verbindliche Vorgaben) ist der größte Balken, er entspricht fünfzig Prozent der Antworten. \"teilweise\" entspricht 11 Prozent, \"nein\" entspricht 17 Prozent. 22 Prozent haben die Frage nicht inhaltlich beantwortet.","description":"reader only"},{"field":"y","value":"Antwort"},{"field":"x","value":"Anteil in Prozent"},{"field":"colors","value":"green,blue,blue,grey"},{"field":"type","value":"Bar"},{"field":"source","value":"Umfrage unter 248 Theatern mit 36 Antworten"},{"field":"paddingbottom","value":"55"},{"field":"showLabels","value":"1"},{"field":"extendscale","value":"100"},{"field":"paddingleft","value":"120"},{"field":"numberformat","value":",d"}]}
{"chart_unique_class":"7QlWVbEaV7Qf3Ymn","datadata":[{"Antwort":"ja","Anteil in Prozent":58},{"Antwort":"teilweise","Anteil in Prozent":25},{"Antwort":"nein","Anteil in Prozent":8},{"Antwort":"keine Antwort","Anteil in Prozent":8}],"metadata":[{"field":"title","value":"Viele Theater barriere-frei zugänglich","description":"chart title, visible + reader"},{"field":"description","value":"Frage: Ist Ihr Theater barrierefrei zu betreten und zu verlassen?"},{"field":"usage","value":"Benutzung: Diese Daten-Grafik ist interaktiv. Das heißt: man kann sie auf verschiedene Arten verwenden. Zum Beispiel mit der Maus oder einem Handy. Wenn man auf einzelne Balken tippt oder sie mit der Maus berührt, bekommt man weitere Informationen. Man kann auch die Tabulator-Taste verwenden. Mit ihr kommt man zu den einzelen Datenpunkten. Mit einem Vorlese-Programm (Screenreader) sind die Datenpunkte als Liste erreichbar.","description":"chart subtitle/description, visible + reader"},{"field":"yaxis","value":"Antwort"},{"field":"xaxis","value":"Anteil in Prozent"},{"field":"text-description","value":"Ein Balkendiagramm, das Antworten auf die Frage, ob es verbindliche Vorgaben zur Barrierefreiheit gibt, darstellt. \"Ja\" (es ist barriere-frei zugänglich) ist der größte Balken, er entspricht fast sechzig Prozent der Antworten. \"teilweise\" entspricht 25 Prozent, \"nein\" entspricht 8 Prozent. 8 Prozent haben die Frage nicht inhaltlich beantwortet.","description":"reader only"},{"field":"y","value":"Antwort"},{"field":"x","value":"Anteil in Prozent"},{"field":"colors","value":"green,blue,blue,grey"},{"field":"type","value":"Bar"},{"field":"source","value":"Umfrage unter 248 Theatern mit 36 Antworten"},{"field":"paddingbottom","value":"55"},{"field":"showLabels","value":"1"},{"field":"extendscale","value":"100"},{"field":"paddingleft","value":"120"},{"field":"numberformat","value":",d"}]}

4 von 5 Theatern erklären, dass ihre barrierefreien WCs nicht mit einem Hebe-Lifter ausgestattet seien. Bei den Staats-Theatern sind es sogar mehr als 90 Prozent. Also 9 von 10.

{"chart_unique_class":"wwCWzuf7XKvIzpuI","datadata":[{"Antwort":"ja","Anteil in Prozent":6},{"Antwort":"teilweise","Anteil in Prozent":3},{"Antwort":"nein","Anteil in Prozent":14},{"Antwort":"keine Antwort","Anteil in Prozent":78}],"metadata":[{"field":"title","value":"Hebelifte ganz selten","description":"chart title, visible + reader"},{"field":"description","value":"Frage: Sind Ihre barrierefreien WCs mit einem Hebelifter ausgestattet?"},{"field":"usage","value":"Benutzung: Diese Daten-Grafik ist interaktiv. Das heißt: man kann sie auf verschiedene Arten verwenden. Zum Beispiel mit der Maus oder einem Handy. Wenn man auf einzelne Balken tippt oder sie mit der Maus berührt, bekommt man weitere Informationen. Man kann auch die Tabulator-Taste verwenden. Mit ihr kommt man zu den einzelen Datenpunkten. Mit einem Vorlese-Programm (Screenreader) sind die Datenpunkte als Liste erreichbar.","description":"chart subtitle/description, visible + reader"},{"field":"yaxis","value":"Antwort"},{"field":"xaxis","value":"Anteil in Prozent"},{"field":"text-description","value":"Ein Balkendiagramm, das Antworten auf die Frage, ob an WCs Hebelifte vorhanden sind, darstellt. \"Nein\" (es gibt keine Hebelifte) ist der größte Balken, er entspricht 78 Prozent der Antworten. \"teilweise\" entspricht 3 Prozent, \"ja\" entspricht 6 Prozent. 14 Prozent haben die Frage nicht inhaltlich beantwortet.","description":"reader only"},{"field":"y","value":"Antwort"},{"field":"x","value":"Anteil in Prozent"},{"field":"colors","value":"green,blue,blue,grey"},{"field":"type","value":"Bar"},{"field":"source","value":"Umfrage unter 248 Theatern mit 36 Antworten"},{"field":"paddingbottom","value":"55"},{"field":"showLabels","value":"1"},{"field":"extendscale","value":"100"},{"field":"paddingleft","value":"120"},{"field":"numberformat","value":",d"}]}

Für Menschen mit hohem Unterstützungs-Bedarf bedeutet das, dass sie von einem Theater-Besuch oft ausgeschlossen werden. Gerade bei langen Abend-Vorstellungen mit Pause ist eine geeignete Toilette entscheidend, weil Menschen im Rollstuhl häufig mehr Zeit benötigen und nicht in derselben Schlange warten können wie das übrige Publikum. Das heißt: Obwohl die Theater angeben, barriere-freie Toiletten zu haben, stimmt das oft nicht.

Dabei gibt es Ideen, wie es besser ginge: Ein Vorbild könnte hier das britische Changing-Places-Modell sein, das Toiletten mit mehr Platz, einer Liege und einem Hebe-Lift versieht. Changing-Places-Toilets ist ein englischer Ausdruck für große, spezielle, barrierefreie Toiletten. Sie machen es möglich, dass alle Menschen eine Toilette benutzen können, auch wenn sie viel Hilfe brauchen.

Zu wenige Rollstuhl-Plätze

Auch bei den baulichen Vorgaben gibt es Nachhol-Bedarf: Die DIN-Norm regelt unter anderem Flächen und Platz-Bedarf beim barriere-freien Bauen. Sie wird zum Groß-Teil gar nicht oder nur teilweise eingehalten – oft ist das auch gar nicht möglich, weil viele Gebäude in Deutschland denkmal-geschützt sind. Weniger als ein Drittel aller Theater, die uns geantwortet haben und weniger als 10 Prozent, also weniger als 1 von 10 der Staats-Theater halten sich daran. Viele Theater wollten uns dazu gar keine Auskunft geben.   

Schön ist hingegen, dass in den meisten Theatern gemeinsames Sitzen von Menschen mit und ohne Rollstuhl möglich ist. Das ist wichtig, weil es das gemeinsame Kultur-Erlebnis stärkt.    

Barrierefreiheit stärkt Kulturerlebnisse

Fast keine Angebote für Menschen mit Lernschwierigkeiten und Seh- oder Hör-Behinderungen

Bei Detail-Fragen wie nach Unter-Titelung oder Audio-Deskription antworten die meisten Theater, dass sie diese Angebote nur teilweise bereitstellen. Bei der Frage nach  Vorführungen in Einfacher und Leichter Sprache antworten nur wenige Theater mit Ja. Positiv fallen bei all diesen Fragen das Theater und das Philharmonische Orchester der Stadt Heidelberg, das Staats-Theater Kassel und die Stiftung Staats-Theater Augsburg auf.

Widerspruch: Bewerben? Auf eigene Gefahr

Und wie geht es den Mitarbeitenden mit Behinderungen? Zwar geben 75 Prozent, also 3 von 4 aller Theater und rund 9 von 10 der Staats-Theater an, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen. Weniger als 10 Prozent der Theater und keines der Staats-Theater erklären jedoch, ihr gesamtes Haus sei für Mitarbeitende mit Behinderungen barrierefrei. Häuser, die sich um barrierearme Möglichkeiten für Zuschauer*innen bemühen, kümmern sich also weniger um die Bedürfnisse der eigenen Kolleg*innen.  

{"chart_unique_class":"wwCWzuf7XKvIzpuI","datadata":[{"Antwort":"ja","Anteil in Prozent":8},{"Antwort":"teilweise","Anteil in Prozent":38},{"Antwort":"nein","Anteil in Prozent":47},{"Antwort":"keine Antwort","Anteil in Prozent":6}],"metadata":[{"field":"title","value":"Zugangsmöglichkeit für Mitarbeiter","description":"chart title, visible + reader"},{"field":"description","value":"Frage: Sind Ihr gesamtes Haus und Ihre Bühne für Menschen mit Behinderung barrierefrei zugänglich?"},{"field":"usage","value":"Benutzung: Diese Daten-Grafik ist interaktiv. Das heißt: man kann sie auf verschiedene Arten verwenden. Zum Beispiel mit der Maus oder einem Handy. Wenn man auf einzelne Balken tippt oder sie mit der Maus berührt, bekommt man weitere Informationen. Man kann auch die Tabulator-Taste verwenden. Mit ihr kommt man zu den einzelen Datenpunkten. Mit einem Vorlese-Programm (Screenreader) sind die Datenpunkte als Liste erreichbar.","description":"chart subtitle/description, visible + reader"},{"field":"yaxis","value":"Antwort"},{"field":"xaxis","value":"Anteil in Prozent"},{"field":"text-description","value":"Ein Balkendiagramm, das Antworten auf die Frage, ob Haus und Bühne für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung barrierefrei zugänglich sind, darstellt. \"Nein\" ist der größte Balken, er entspricht 48 Prozent der Antworten. \"teilweise\" entspricht 38 Prozent, \"ja\" entspricht 8 Prozent. 6 Prozent haben die Frage nicht inhaltlich beantwortet.","description":"reader only"},{"field":"y","value":"Antwort"},{"field":"x","value":"Anteil in Prozent"},{"field":"colors","value":"green,blue,blue,grey"},{"field":"type","value":"Bar"},{"field":"source","value":"Umfrage unter 248 Theatern mit 36 Antworten"},{"field":"paddingbottom","value":"55"},{"field":"showLabels","value":"1"},{"field":"extendscale","value":"100"},{"field":"paddingleft","value":"120"},{"field":"numberformat","value":",d"}]}

Derselbe Widerspruch zeigt sich beim Bewerbungs-Verfahren. Die meisten Theater betonen, dass sie besonders Menschen mit Behinderungen ermutigen, sich bei ihnen zu bewerben.  Ein komplett barrierefreies Bewerbungs-Verfahren bietet aber nur eine Minderheit an.

Viele positive Antworten zu diesen Fragen gab es von der Oper Leipzig, Friedrichstadt-Palast Berlin, dem Badischen Staats-Theater Karlsruhe, dem Staats-Theater Kassel, dem Theater der Jungen Welt und dem Staats-Theater Stuttgart.

Widerspruch: Vielfalt zeigen wollen, aber nicht leben

Die Kultur-Ministerien haben wir gefragt: Gibt es konkrete Ziele, die Barriere-Freiheit im Kultur-Bereich zu verbessern? Und: Gibt es gesetzliche Grund-Lagen dafür?

Bei beiden Fragen antwortete die Mehrheit, 12 von 16 Bundes-Ländern: Ja. Außerdem haben wir gefragt: Oder soll es umgekehrt in diesem Bundes-Land weniger Geld dafür geben, um Inklusion und Barriere-Freiheit in der Kultur zu fördern? Darauf haben mehr als die Hälfte (62,5 Prozent) geantwortet mit: Nein. Das sind gute Nachrichten. Doch in Wirklichkeit sieht es oft anders aus.

Roman Pertl war bis Juli 2025 Kaufmännischer Leiter des Zimmer-Theaters Tübingen. Zimmer-Theater sind Theater, die oft eher klein sind und bei denen das Publikum sehr nah dran an der Bühne ist. Er hat auf unsere Fragen geantwortet: Sein Theater sei nicht barrierefrei. Es gebe keine Unter-Titelung und keine Audio-Deskription. Es gebe auch keine Vorführungen in Einfacher und Leichter Sprache. Für das alles fehle Geld. „Es ist traurig, dass wir überhaupt nichts tun (können) in Sachen Barriere-Freiheit“, schrieb Pertl zu seinen Antworten. „Ich habe immer wieder versucht, Gelder dafür zu bekommen. Aber es war erfolglos.“

Am Telefon erzählt Pertl dann, dass sein Theater sich zwei Mal für ein Förder-Programm vom Land Baden-Württemberg beworben hat. Das Programm heißt „Weiterkommen!“. Es will kulturelle Teilhabe unterstützen, indem es Kultur-Einrichtungen Geld dafür gibt. Das Zimmer-Theater hat die Förderung nicht bekommen. „Danach haben wir überlegt, was können wir selbst tun?“, sagt Pertl. Doch dann entschied Anfang 2025 der Gemeinde-Rat der Stadt Tübingen: Es muss gespart werden. Auch das Zimmer-Theater soll nun viel weniger Geld bekommen als vorher.

Deswegen hat Pertl gekündigt und ist jetzt Geschäfts-Führer am Heimathafen Neukölln, einem Theater in Berlin. „Dort gibt es ebenfalls noch viele Probleme mit der Barriere-Freiheit“, sagt er. „Aber dort habe ich mehr Zeit, die Probleme kreativ und nachhaltig anzugehen. Und dort will ich endlich die Dinge umsetzen, die ich in Tübingen nicht geschafft habe.“

Widerspruch: Grosse Ziele, wenig Geld

Roman Pertl hat sich viele Gedanken gemacht, warum Inklusion im Kultur-Bereich immer noch nicht gut funktioniert. „Ich glaube, es liegt an zwei Dingen“, sagt er. „Zum einen sind viele kultur-schaffenden Teams nicht sehr divers besetzt. Das heißt, es arbeiten oft Menschen mit sehr ähnlichen Erfahrungen gemeinsam. Selten zum Beispiel Menschen mit Behinderungen. „Wir wollen sie zwar, aber wir sehen nicht, was wirklich wichtig dafür ist.“ sagt Pertl.

Darum sei der erste Schritt: Menschen ins Team zu holen, die sich auskennen. Das zeigt auch eine europäische Studie, die herausfand: Zu den größten Problemen der Inklusion im Kultur-Bereich zählt, dass Kultur-Schaffende zu wenig wissen über Barriere-Freiheit und über die Arbeit von Künstler*innen mit Behinderungen.

Zum anderen werden viele Kultur-Einrichtungen von öffentlichen Trägern finanziert, sagt Pertl. „Dinge wie Straßen, Schwimm-Bäder, Schulen erscheinen dabei häufig wichtiger als Kultur. Darum kommt Geld für Inklusion in der Kultur als Letztes an. Das ist also ein politisches Problem.”

Unsere Daten zeigen: Auch wenn es Ziele gibt, die Barriere-Freiheit in den Bundes-Ländern zu verbessern – Geld dafür gibt es eher nicht. Politiker*innen sagen zwar in unserer Daten-Erhebung: Barriere-Freiheit ist uns wichtig. Aber wir haben zudem gefragt, ob es ein Budget für Kultur-Einrichtungen gibt, die Menschen mit Behinderungen einstellen. Und ob es Stipendien gibt für Menschen mit Behinderungen, die Kultur machen wollen. Darauf haben die meisten geantwortet: Nein

Es gibt in der Hälfte der deutschen Bundes-Länder kein spezielles Budget für Institutionen, die Kultur-Schaffende mit Behinderungen einstellen. In nur drei Ländern ist das der Fall, zwei weitere beschreiben Programme, die auch anderen Nicht-Kultureinrichtungen offenstehen (der Rest hat nicht so genau auf unsere Frage geantwortet).

Du glaubst an unsere Vision von inklusivem Journalismus? Dann unterstütze uns mit einem Abo!

Und in nur 3 Ländern (Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg) sind Menschen mit Behinderungen daran beteiligt, diese Gelder zu verwalten und zu verteilen oder Konzepte für Stipendien und ähnliche Förder-Maßnahmen zu erstellen.

Zentral dabei: Auf unsere Frage, ob Menschen mit Behinderungen in kultur-politisch bedeutenden Positionen arbeiten, haben nur 2 Ministerien eindeutig geantwortet. Nordrhein-Westfalen mit: Ja. Schleswig-Holstein mit: Nein.

In Deutschland gibt es noch keine einheitliche Regel für Barriere-Freiheit in der Kultur. Jedes Theater oder Museum macht es ein bisschen anders. Das macht es für viele Menschen mit Behinderungen sehr schwer. Sie können sich nicht sicher sein, ob sie wirklich überall teilnehmen können. Darum braucht es ein Gesetz für ganz Deutschland. Dieses Gesetz muss genau erklären, was Barriere-Freiheit bedeutet. Nur so ist überall klar: Alle Menschen können gleich-berechtigt an Kultur teilhaben.

Ein solches Gesetz hat Vorteile für alle: Kultur wird durch mehr Barriere-Freiheit für viel mehr Menschen zugänglich.  Das nennt man den Curb-Cut-Effekt: Wenn man etwas für Menschen mit Behinderung barrierefrei macht, haben oft alle etwas davon. Familien mit Kinder-Wagen, ältere Menschen oder Besucher*innen mit wenig Deutsch-Kenntnissen gewinnen dadurch genauso. So wird Kultur ein Ort der Begegnung, der Vielfalt und der Gemeinschaft.

Geschrieben Von

 Ines Schipperges

Und

Leonie Schüler 

Datenauswertung

Pablo Délano / Fin Hametner

Grafiken von

Fin Hametner

Redaktion

Lisa Kreutzer

Fact-Checking

Emil Biller