Klamotten kaufen. Kleidung für den nächsten Tag aussuchen. Für viele Menschen ist das eine ganz unkomplizierte Routine. Menschen mit Autismus stoßen jedoch beim Thema Kleidung auf viele Hürden. Denn sie verarbeiten körperliche Reize anders als Menschen ohne Autismus. Was für Probleme gibt es? Und was kann helfen? Zwei Autistinnen erzählen.
Wenn Hannah eine fusselnde Strickjacke oder zu enge Kleidung trägt, beginnt ihre Haut oft zu schmerzen und zu kribbeln. Dann kreisen ihre Gedanken nur noch um diese Gefühle. Das Einzige, was hilft: die Kleidung ausziehen und ihre Haut eincremen. Stoffe, Schnitte und Farben entscheiden für Hannah über einen guten oder schlechten Tag.
Hannah ist 25 Jahre alt und lebt in München. Und Hannah ist Autistin. So wie Schätzungen zufolge 1 von 100 Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Gehirn von Autist*innen funktioniert anders als das von Nicht-Autist*innen. Autist*innen fühlen oft besonders stark, kommunizieren anders und brauchen Routinen. Die Hürden im Alltag begegnen ihnen auch im eigenen Kleiderschrank.
Menschen mit Autismus filtern Gefühle wie Wärme oder Druck auf der Haut nicht so stark. Deswegen nehmen sie Gefühle, die durch Kleidung auf der Haut entstehen, stärker oder länger wahr. Das erklärt die Psychologin Nadine Ney. Sie arbeitet in Berlin mit autistischen Kindern und Erwachsenen.
Auch Tina ist Autistin. Tina ist 53 Jahre alt und lebt in Luzern in der Schweiz. Tina ist vor allem wichtig, nicht in ihrer Kleidung zu schwitzen. “Ich mag eher natürliche Fasern”, sagt sie. Darin staut sich die Körper-Wärme nicht so.
Außerdem prüft sie immer in verschiedenen Apps den Wetter-Bericht, bevor sie sich anzieht. Die ständige Gefahr: dass Kleidung “zu viel” wird. Wenn Tina zum Beispiel spazieren geht und ihre Kleidung anfängt zu kleben, muss sie den Spaziergang abbrechen. Aber auch wenn ihre Klamotten am Körper verrutschen, ist das für sie nur schwer erträglich.
Wenn es zu viele unangenehme Reize gibt, kann es zu einer Reiz-Überflutung kommen, so Ney. Bei einer Reiz-Überflutung nimmt man ein Gefühl so stark wahr, dass es überfordern kann. Manchmal hilft es dann, sich auf ein anderes Gefühl zu konzentrieren. Wenn Hannah zum Beispiel kribbelnde Beine von einer Strumpfhose hat, klopft sie ihre Beine ab. Das geht natürlich nicht immer. Zum Beispiel bei der Arbeit. “Da muss man einfach funktionieren“, sagt Hannah.
Autistische Menschen unterdrücken ihre Symptome deshalb oft. Manchmal können dann Ersatz-Schmerzen auftreten, wie Muskel-Verspannungen oder Übelkeit, erklärt Psychologin Ney. Aber auch emotionale Symptome können auftreten. Tina erzählt: Im Sommer bin ich öfter überreizt, weil ich viel in meinen Klamotten schwitze. Das führt zu stärkeren Ängsten und Stimmungs-Schwankungen.”
Tina sagt: Die richtige Kleidung zeigt sich daran, dass sie nicht ständig daran denkt, was sie anhat. Zum Beispiel mit einem Outfit, das perfekt zum Anlass passt. Hannahs perfektes Kleidungs-Stück ist ein großer, weicher Pullover. Er bewegt sich perfekt mit ihr mit und liegt nicht zu schwer auf der Haut auf. Wenn sie ihn anhat, fühlt sie sich freier und konzentrierter. Doch diese “unproblematischen” Kleidungs-Stücke muss man erstmal finden.
Denn die Hürden für Autist*innen gehen schon lange vor dem Tragen von Kleidung los – nämlich beim Einkaufen. In Läden ist oft die Musik zu laut, das Licht zu grell, es sind zu viele Menschen unterwegs und man muss abwechselnd viele verschiedene Stoffe anfassen.
Tina und Hannah kaufen Klamotten deshalb beide fast ausschließlich online. Aber auch das ist nicht immer einfach. Man kann vorher nicht testen, wie sich die Teile anfühlen. Und viele Mode-Häuser stellen Kleidung mit Etiketten, hohen Nähten oder losen Fäden her. Sie können kratzen oder drücken.
Wenn Tina mal ein passendes Kleidungs-Stück gefunden hat, kauft sie sich davon gleich mehrere. Wie ein Slip, den sie jahrelang immer wieder kaufte. Doch den gab es irgendwann nicht mehr. Dann geht die anstrengende Suche wieder von vorne los.
Viele Autist*innen brauchen Routinen und Vorhersehbarkeit. Mode-Unternehmen ändern aber ihr Angebot schnell. Das passt oft nicht gut zusammen. Hannah erinnert sich: Als sie ein Kind war, musste eine Schneiderin deshalb ihr Lieblings-Kleid immer wieder ändern.
Die belgische Unternehmerin An Luyten will es mit ihrem Unternehmen Blusss besser machen. Sie entwickelt Kleidung mit besonders wenig Reizen – zum Beispiel für Menschen mit Autismus. Ihr Sohn hatte im Alter von etwa vier Jahren angefangen, ständig an seiner Unterwäsche zu ziehen. “Zuerst dachte ich: Bitte stell dich nicht so an”, erzählt sie.
Ein Gespräch mit einer Kinder-Psychologin hat Ans Sichtweise radikal verändert. Diese habe ihr erklärt: Kinder, die ständig unangenehme Gefühle mit ihrer Kleidung verbinden, fühlen sich weniger sicher. An hat verstanden: Ihr Sohn braucht dringend Kleidung, in der er sich wohlfühlt. Und weil es die kaum gibt, macht sie diese nun selbst.
Dafür arbeitet sie mit Expert*innen wie Psycho-Therapeut*innen und Designer*innen zusammen. Ihre Idee: Kleidung soll wenig störende Reize haben und gut aussehen.
Das ist so wichtig, weil viele Autist*innen sich durch schöne Mode geschützt fühlen. Denn viele von ihnen haben Angst davor, aufzufallen oder von anderen schlecht beurteilt zu werden. “Mit meiner Kleidung schlüpfe ich in eine Rolle und habe das Gefühl, die Reaktionen anderer Menschen auf mich kontrollieren zu können”, sagt Tina. Besonders gern mag sie Blazer und Mäntel. “Ich bin sehr groß und habe kurze Haare. Ich falle also sowieso auf. Dabei möchte ich wenigstens das Gefühl haben, gut auszusehen.”
Für Hannah bedeutet das, ihre Lieblings-Farbe in allen möglichen Formen zu tragen. “Mein Kleider-Schrank besteht zu 70 Prozent aus der Farbe Pink. Wenn ich sie trage, beruhigt sich mein Nerven-System und mein Hirn schüttet Glücks-Hormone aus. Und ich finde die Farbe einfach schön.”
Geschrieben Von
Katharina Walser
Redaktion
Kristina Kobl
In Einfache Sprache von
Constanze Busch
Fotografiert von
Sophie Wanninger
