Ein Orts-Besuch von Magdalena Bauer, Luise Jäger und Theresa-Marie Stütz
“Wenn es heiß ist, wird meine Runde ganz klein”, sagt Mathilde. Die 84-Jährige sitzt alleine an einem Tisch und isst zwei Kugeln Vanilleeis. Es ist 16:00 Uhr, die meisten anderen Senior*innen sind zum Turnen gegangen.
Es ist ein Dienstag, Ende Juni in Wien, einer der heißesten Tage des Jahres. Es hat 32 Grad. Aber hier in der Coolen Zone im 20. Wiener Bezirk spürt man nichts davon. Mathilde sitzt bei kühlen 23 Grad, dafür sorgt eine Klimaanlage.
Coole Zone ist englisch und bedeutet auf deutsch: kühler Ort. Der Raum ist Teil des Projekts WieNeu+ und des Wiener Hitze-Aktion-Plans. Damit will die Stadt ihre Bevölkerung vor den steigenden Temperaturen schützen. Laut AGES gab es in Österreich im letzten Jahr 231 Hitze-Tote. In Deutschland waren es laut Bundes-Ärzte-Kammer rund 4.500 Menschen.
Wie gut ist die Politik auf die immer stärker ansteigenden Temperaturen vorbereitet? Und treffen die Maßnahmen auch wirklich die, die sie am meisten brauchen? Wie barrierefrei ist der Hitze-Schutz? Als Beispiel hat andererseits zu Wien recherchiert. Und gefragt: Gelingt es der Stadt, die gesamte Bevölkerung wirklich vor Hitze zu schützen?
Hitze trifft nicht alle gleich
Denn sogenannte gefährdete Gruppen trifft die Hitze besonders stark. Das sind alte Menschen, wie Mathilde, aber auch Menschen mit Behinderungen. Das kannst Du in Text Eins und Zwei dieser Serie nachlesen.
Für diesen dritten Teil unserer Serie “Mehr als nur schön warm” haben wir Euch gefragt: Wie schützt ihr Euch vor Hitze? Welche Maßnahmen gibt es in Eurer Gegend? Über 80 Menschen aus der anderseits-Community haben uns geantwortet. Ihr habt uns von Bäumen, Trinkbrunnen und Nebelduschen erzählt. Andere Maßnahmen wurden in der Umfrage nicht genannt.
Eure Antworten zeigen, dass die große Mehrheit mit den Aktionen der Politik sehr unzufrieden ist. Sie sind entweder unsichtbar oder nicht vorhanden. Was bleibt, ist Eure Wut und die Angst vor der Zukunft. Der Wunsch nach wirklichem Klimaschutz ist groß. Andrea aus unserer Community meint: “Aktionen gegen die Hitze sehe ich hier nicht. Ich kann nur bei mir selbst anfangen.”
Doch eigentlich trägt die Politik die Verantwortung, ihre Bevölkerung zu schützen. Die Stadt Wien versucht das mit ihrem Hitze-Aktions-Plan. Den gibt es seit Mai 2022.
Es sollen zum Beispiel Parkbänke im Schatten aufgestellt, Springbrunnen eingeschaltet und Trinkbrunnen aktiviert werden. Auch der Einsatz von klimatisierten Fahrzeugen der Wiener Linien oder Nebelduschen und die Coole Zone gehören dazu. Zwei davon wurden dieses Jahr eröffnet, eine im 20. und eine im 2. Wiener Gemeindebezirk.
Zu spät reagiert
Sie liegen laut Wiener Hitze-Karte in besonders gefährdeten Bereichen. Solche Orte gibt es in sechs Wiener Bezirken. In diesen Gebieten wird es besonders heiß. Dort wohnen viele Menschen mit geringem Einkommen.
Am Nachmittag, wenn es eigentlich am heißesten ist, ist die Coole Zone fast leer. Nur Mathilde sitzt noch an ihrem Tisch. “Wenn es zu heiß ist, dann gehe ich nicht mal hierher, dann ist mir alles zu anstrengend.” sagt sie. “An und für sich habe ich es gerne warm, aber an das kann man sich gar nicht gewöhnen, aktuell ist es einfach sehr extrem.” Wie kann es sein, dass die Coole Zone gerade, wenn sie am meisten gebraucht wird, kaum genutzt wird?
Die Coole Zone der Stadt Wien wurde erst in diesem Jahr eröffnet. Obwohl Wien von den steigenden Temperaturen besonders betroffen ist. Laut einer Studie der ETH Zürich aus dem Jahr 2019 kann die Temperatur in den nächsten 30 Jahren bis zu 7,6 Grad steigen. Das ist einer der höchsten Werte für Städte in Europa.
Hanns Mooshammer forscht an der Medizinischen Universität in Wien zur Umwelt-Medizin. Er sagt: “Als erstes österreichisches Bundesland hatte die Steiermark schon seit 2017 einen Hitze-Schutz-Plan. Mich hat es sehr überrascht, dass es in Wien so lange gedauert hat. Denn Städte sind schon länger von der Hitze betroffen.”
Rundum-Paket gegen die Hitze
Klima-Stadtrat Jürgen Czernohorszky nennt seinen Hitze-Schutz-Plan das “Rundum-Paket gegen die Hitze.” Aber ist mit solchen Maßnahmen wirklich das Problem Hitze gelöst? “Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, genügen wird er nicht.” sagt Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. Sie forscht zu Klimaveränderungen an der BOKU Wien. Klima-Mediziner Hans-Peter Hutter ist ähnlicher Meinung. Er berät die Stadt Wien auch bei der Entwicklung des Planes und meint: Es seien vor allem einzelne Maßnahmen, die rasch oder mittelfristig Milderung verschaffen.
Umweltmediziner Mooshammer dagegen sagt, die wirkliche Herausforderung des Hitze-Schutzes sei die Frage, wie man Menschen erreicht. “Menschen, die nicht sehr mobil sind oder Hilfe beim Verstehen brauchen, werden von den jetzigen Plänen oft nicht erreicht.”
Eine Woche später, Freitagnachmittag. Es ist 14:00 Uhr, die Coole Zone ist menschenleer. Bis sie um 18:00 Uhr schließt, ändert sich das auch nicht mehr. Warum? Claudia arbeitet in der Coolen Zone. Sie meint: “Am Freitag ist generell weniger los. Meistens sind wir am Vormittag gut besucht, da gibt es Turn-Programm.” Eigentlich ist die Coole Zone aber erst ab 12:00 Uhr für alle geöffnet, denn das sind die heißesten Stunden des Tages. Ihr Kollege Mohammed glaubt, dass die geringe Besucher*innen-Zahl daran liegt, dass es den Raum erst seit einem Monat gibt und ihn nur wenige kennen. Außerdem: “Auf der Fassade steht ganz groß Pensionist*innen-Klub. Vielleicht denken die Leute, dass das Angebot nicht für sie ist.“.
Kaum bekannt
Eigentlich sollte die Maßnahme laut Hitze-Aktions-Plan auch die gesamte Bevölkerung ansprechen. Die Stadt Wien benutzt für die Aufklärung auf ihrer Internet-Seite leicht verständliche Sprache. Das entspricht dem Sprach-Niveau B1. Leichte Sprache ist das nicht. Laut einer LEO Studie aus dem Jahr 2018 sind jedoch 12 Prozent der Menschen auf Leichte Sprache angewiesen. In Wien wären das rund 240.000 Menschen, die die Inhalte auf der Website nicht verstehen.
Laut dem Hitze-Aktions-Plan müsste die Coole Zone auch in der App Cooles Wien zu finden sein. Dort ist sie aber nicht verzeichnet. Auf Nachfrage heißt es von der Stadt Wien, dass die Coolen Zonen noch ausprobiert werden und deshalb nicht in der App sind. Mit der Auslastung sei man jedoch zufrieden. Doch ist ein gekühlter Raum wirklich erfolgreich umgesetzt, wenn er teilweise sehr lange leer steht und wenig bekannt ist?
Für Umweltmediziner Mooshammer reicht der Plan der Stadt Wien nicht: “Hitze-Schutz als Plan kann nur der erste Schritt sein. Aber es erfordert Nachbarschafts-Hilfe und Verantwortung des Einzelnen. Wir brauchen neue gemeinschaftliche Wohnformen.” Aber: Wie soll das gehen? Nimmt sich die Politik aus der Verantwortung? Und gibt es Beispiele, wo das schon gut funktioniert? Diesen Fragen widmen wir uns im letzten, vierten Teil dieser Serie “Mehr als nur schön warm.”
Du hast die Umfrage verpasst oder möchtest noch gerne etwas zu dem Thema sagen? Wir würden uns über eine Mail von Dir wirklich sehr freuen! Schreib uns gerne, wie es Dir während der Hitzewellen geht! Uns erreichst Du unter [email protected]
Redaktion: Lisa Kreutzer, Clara Porak
Lektorat: Claudia Burnar
Illustration Lisa-Marie Lehner
Übersetzung in Leichte Sprache: Constanze Busch
Freitagmorgen mit andererseits
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