Auf dieser Zeichnung schaut ein junges Mädchen mit ernstem Blick nach vorne. Sie trägt zwei Hörgeräte. Im Hintergrund sind bunte Farben. An den Rändern sind schwarz-weiße Buchstaben.

Zwischen zwei Welten

Zwischen zwei Welten

Für unsere Autorin Lisa-Marie war ihre Schwerhörigkeit lange mit Scham verbunden. Deshalb wollte sie wissen: Wie erleben das andere Menschen mit Hörbehinderung? 

Eine dreiteilige Serie über das Hören und das Nicht-Hören.

 

Text: Lisa-Marie Lehner
Bilder: Lisa-Marie Lehner

 

Als Kind beobachtete ich oft den Regen aus dem Fenster. Mit dem Zeigefinger folgte ich den Spuren der Tropfen und staunte darüber, wie viele Formen Wasser annehmen kann. Für mich war der Regen lautlos. Heute ist es meine Entscheidung, ob ich ihn höre oder nicht. Ebenso, ob die Mokka-Kanne am Herd zischt, die Vögel zwitschern oder ich meine Stimme als Klang oder als Schwingung in meinem Hals wahrnehme.

 

Ich verwende Hörgeräte. Sie teilen meinen Alltag in zwei Welten: Wenn ich sie trage, bin ich eine Hörende. Ich kommuniziere in Lautsprache. 

Doch Stimmen zu verstehen, ist für mich keine Selbstverständlichkeit. Wenn ich die Hörgeräte abnehme, höre ich keine Stimmen mehr und nehme Geräusche nur noch dumpf wahr.

Für mich ist die Stille bunt. Ich nehme Farben intensiver wahr. Ich spüre Stimmungen von Menschen schnell. Obwohl ich diese Wahrnehmung sehr schätze, habe ich oft den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft die hörende Welt mehr zählt – und dass es beim Aufwachsen vor allem darum ging, sich an sie anzupassen.

In meiner Kindheit und Jugend gab es viele Momente, in denen ich mich hilflos oder weniger wertvoll  fühlte. Um das zu auszugleichen, wollte ich meine  Behinderung lange “überwinden”, indem ich mich anstrengte. Ich habe meine Schwer-Hörigkeit oft verheimlicht – und somit einen wichtigen Teil von mir selbst versteckt. 

Heute weiß ich: Meine Gefühle waren kein persönliches Versagen – also zu glauben, selbst schuld zu sein, wenn etwas nicht gut klappt – sondern das Produkt struktureller Diskriminierung. Das bedeutet: Menschen werden benachteiligt, weil Regeln, Gesetze oder Abläufe in der Gesellschaft nicht für alle gleich gut funktionieren. In meinem Fall war es Audismus. Der Begriff bezeichnet eine Form der Diskriminierung von Menschen mit Hörbehinderungen.

Da ich selbst lange kaum Kontakt zur schwerhörigen und gehörlosen Community hatte, bedeutet mir diese Recherche sehr viel. Ich habe einen Aufruf bei andererseits gestartet und Menschen mit Hörbehinderungen nach ihren Erfahrungen gefragt. 28 Menschen haben mitgemacht – eure Offenheit und Erfahrungen haben mich sehr berührt. Beim Lesen musste ich oft lächeln – und manchmal schlucken, weil ich vieles so gut nachempfinden konnte.

Aus Euren Erfahrungen sind drei Texte entstanden: 

Der erste Teil beschäftigt sich mit Audismus – also der Abwertung von Schwerhörigkeit/Gehörlosigkeit – und damit, wie wir lernen, damit umzugehen. 

 

Im zweiten Teil geht es um unsere besondere Wahrnehmung, um schöne Momente – und um die Frage, wie hörende und nicht-hörende Menschen sich besser verstehen und unterstützen können. 

 

Der dritte Teil zeigt die Antworten aus der Community auf die Frage:

Was macht uns in unserer Schwer-Hörigkeit / Gehör-Losigkeit stolz? 

Als die Welt laut wurde

Das ist der erste Teil der Serie über Hör-Behinderungen
Die Zeichnung zeigt bunte Regentropfen, die an eine Scheibe hinunter rinnen. Sie sind in blauen und grünen Farben.
Die Zeichnung zeigt vier große Regentropfen. Sie sind nebeneinander und mit blauen, gelben und lila Aquarellfarben gemalt.

Zwischen uns

Das ist der zweite Teil der Serie über Hör-Behinderungen

Was macht Dich stolz?

Wir haben die Menschen, die bei unserer Umfrage zu Hör-Behinderungen mitgemacht haben, gefragt, was sie an ihrer Hör-Behinderung stolz macht.
Die Zeichnung zeigt verschiedene Kreise. Sie sind lila. Manche Kreise sind verbunden, manche stehen für sich alleine.