Inklusion ist mehr als ein Arbeits-Platz

Ein Job am allgemeinen Arbeits-Markt ist für viele Menschen mit Behinderungen das berufliche Ziel. Doch ein Arbeits-Vertrag bedeutet noch keine echte Inklusion. Was braucht es für gelungene Teilhabe?
Tobias Schörghofer schaut in die Kamera. Er benützt einen Rollstuhl und trägt einen blauen Pullover und eine beige Hose. Im Hintergrund steht eine Parkbank und ein Baum.

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„Wenn ich gesagt bekomme: ‚Du machst das so toll und ich könnte das nicht‘, fühlt sich das nicht wie ein Kompliment an. Es vermittelt mir: Dein Leben ist weniger lebenswert“, sagt Tobias Schörghofer. Er hat Sozial-Ökologie studiert und arbeitet seit zwei Jahren im österreichischen Sozial-Ministerium als Forschungs-Beauftragter. Schörghofer lebt mit Behinderungen und ist zufrieden mit seiner Arbeit. Im Sozial-Ministerium hat er viele Kolleg*innen mit Behinderungen: „Das ist natürlich ein großer Vorteil, weil der Umgang angenehmer ist.“

Trotzdem gibt es immer wieder schwierige Situationen für ihn: „Mobbing habe ich zum Glück nicht erlebt, sondern eher das Gegenteil. Ein übertriebenes Kümmern, das einen aber auch abwertet.“ Dinge wie diese erschweren den Arbeits-Alltag für viele Menschen mit Behinderungen.

Österreich hat die UN-Behindertenrechts-Konvention unterschrieben. Menschen mit Behinderungen sollen in allen gesellschaftlichen Bereichen teilhaben können. Dazu zählt auch die Teilhabe am Arbeits-Markt. Deshalb müssen größere Arbeit-Geber*innen Menschen mit Behinderungen anstellen. Das nennt man Beschäftigungs-Pflicht. Sie steht im Behinderten-Einstellungs-Gesetz. Mit der Beschäftigungs-Pflicht soll sichergestellt werden, dass Menschen mit Behinderungen einen gerechten Zugang zum ersten Arbeits-Markt haben.

Zu der Beschäftigungs-Pflicht haben wir erst kürzlich geheime Daten aus Wien veröffentlicht. Wir haben eine Such-Möglichkeit gemacht. Mit dieser Such-Möglichkeit kannst Du schauen, welche Wiener Unternehmen die Beschäftigungs-Pflicht erfüllt haben. Hier kommst Du zur Such-Möglichkeit.

Menschen mit Behinderungen finden seltener eine Anstellung als Menschen ohne Behinderungen. Wer zum Beispiel in einer Werkstätte arbeitet oder als „arbeitsunfähig“ eingestuft wird, hat kaum Chancen auf einen Job am regulären Arbeits-Markt. Und viele Firmen zahlen lieber eine Geld-Strafe, als genügend Menschen mit Behinderungen anzustellen. 

Laut Statistik Austria haben nur knapp 15 Prozent der Menschen mit Behinderungen in Österreich einen Job auf dem allgemeinen Arbeits-Markt. Und wenn Menschen mit Behinderungen zu den wenigen zählen, die eine Anstellung gefunden haben? Dann stoßen sie häufig auf neue Barrieren.

„Menschen mit Behinderungen besitzen Fähigkeiten und haben Talente, so wie Menschen ohne Behinderung auch. Der Arbeits-Markt ist aber nicht darauf ausgelegt, diese Fähigkeiten zu nutzen“, sagt Marina Tschernjajew von Jugend am Werk. Sie arbeitet als Job-Coach. Das bedeutet, sie unterstützt Menschen mit Behinderungen im allgemeinen Arbeits-Markt. Für Tschernjajew ist klar: Unser Wirtschafts-System verlangt, dass Betriebe auf Schnelligkeit und Anpassungs-Fähigkeit schauen.

Das ist Marina Tschernjajew

Ihren Kund*innen falle es oft schwer, sich diesen Anforderungen anzupassen. Marina Tschernjajew berichtet davon, dass Arbeit-Geber*innen den Arbeits-Platz häufig nicht an die Bedürfnisse der Menschen anpassen.

Betriebe würden erwarten, dass sich die Menschen gegebenen Vorgaben unterordnen: „Es wird nicht nach Lösungen gesucht, sondern nach Gründen, warum eine Anstellung nicht dauerhaft bleiben kann oder möglich ist.“ Karriere machen oder sich beruflich weiter-entwickeln? Diese Fragen stellen sich erst gar nicht, wenn es schon eine Herausforderung ist, einen Job behalten zu können.

Ein Arbeits-Platz bedeutet nicht gleich Teilhabe

Eine Studie zu Inklusion bei der Arbeit von Deloitte, einem internationalen Wirtschafts-Beratungs-Unternehmen, hat 10 Tausend Arbeit-Nehmer*innen mit Behinderungen in zwanzig Ländern befragt. 40 Prozent der Befragten berichteten von nicht-inklusivem Verhalten, Mobbing oder Belästigung am Arbeits-Platz.

Viele gaben an, dass sie im Gegensatz zu Kolleg*innen ohne Behinderungen nicht befördert wurden – das heißt, sie bekommen keinen besseren Job im Unternehmen. Oder dass sie bei Veranstaltungen nicht teilnehmen konnten, weil diese nicht barrierefrei waren. Etwas mehr als ein Viertel fühlte sich nicht gerecht bezahlt.

Menschen mit Behinderungen erhalten oft weniger anspruchsvolle Aufgaben. Karriere machen und sich selbst verwirklichen ist schwierig, wenn mangelnde Barriere-Freiheit den Arbeits-Alltag erschwert. „Die Karriere-Planung steht da schon eher im Hintergrund“, sagt Christian Mühl. Wie Tschernjajew arbeitet er als Job-Coach bei Jugend am Werk und unterstützt Menschen mit Behinderungen am allgemeinen Arbeits-Markt.

Dazu kommt Mobbing oder die positive Diskriminierung, wie sie Tobias Schörghofer erlebt hat. Schörghofer erzählt über seine berufliche Laufbahn, unangenehme Bewerbungs-Gespräche und auch von Kolleg*innen, die gerne „seinen Park-Ausweis“ kopieren würden. Ein Arbeitgeber hatte ihn beim Bewerbungs-Gespräch gefragt: „Was sind deine Behinderungen?“ Für Schörghofer war klar: Eigentlich wollte er fragen, welche Unterstützung er am Arbeits-Platz benötigt. Aber es fehlte das notwendige Verständnis.

„Unsere Gesellschaft ist darauf ausgelegt, dass wir unser ganzes Leben kaum Berührung mit Menschen mit Beeinträchtigungen haben. Das sorgt für Unsicherheiten“, sagt Tschernjajew. Und diese Unsicherheiten seien oft der Ursprung für Diskriminierung, Vorurteile und auch Mobbing. Deshalb bräuchte es mehr Berührungs-Punkte von Menschen mit und ohne Behinderungen. In allen Lebens-Bereichen.

Ein weiterer Grund, warum Inklusion in vielen Unternehmen nicht funktioniert, ist für Job-Coach Tschernjajew das fehlende Durchgreifen der Politik. Inklusion gäbe es nur dort, wo Chef*innen eines Unternehmens den Willen dazu haben. Aber das ist zu wenig, denn eigentlich muss der Staat für Teilhabe sorgen. „Wir haben Gesetze und die UN-Behindertenrechts-Konvention, die verpflichten, Inklusion zu leben. Aber es passiert nicht“, sagt Tschernjajew.

Menschen in inklusiven Unternehmen sind zufriedener

Von gelebter Inklusion haben nicht nur Menschen mit Behinderungen etwas, sondern auch Unternehmen. Das zeigt unter anderem ein Bericht aus den USA. Er sagt: Mitarbeitenden geht es in inklusiven Betrieben besser, sie halten mehr zusammen und die Betriebe sind produktiver. Außerdem haben inklusive Unternehmen oft einen besonders guten Ruf. 

Das Magazin Harvard Business Review hat mit vielen Firmen gesprochen, die Menschen mit Behinderungen angestellt haben. Viele der Unternehmen haben gesagt: Seit sie Menschen mit Behinderungen anstellen, gibt es weniger Kranken-Stände im Betrieb.

Ein Bericht des Sozial-Ministeriums aus dem Jahr 2020 über integrative Betriebe zeigt, dass sich Inklusion auch finanziell auszahlt. In integrativen Betrieben sind vor allem Menschen mit Behinderungen angestellt. Ihre Einnahmen waren um ein Vielfaches höher als die bekommenen Förderungen. Und auch der Staat spart dabei: Es wurden mehr Steuern zurück-bezahlt als an Förderungen ausgegeben wurde. Und es wurden Kosten gespart, weil weniger Menschen arbeitslos waren. 

Wie wird der Arbeits-Markt inklusiver?

Inklusion am Arbeits-Markt bringt Vorteile. Doch um sie wirklich umzusetzen, müsse vieles flexibler werden, meint Job-Coach Marina Tschernjajew: „Es braucht Aufklärung und Schulungen – verpflichtend und immer wieder. Und Verhaltens-Regeln für alle Mitarbeiter*innen.” Und es sollte mehr über Inklusion und den möglichen Zugang zum Arbeit-Markt für Menschen mit Behinderungen gesprochen werden. In den Medien und in der Öffentlichkeit generell. 

Tobias Schörghofer wünscht sich, dass Arbeit*geberinnen nicht nur Menschen mit Behinderungen einstellen, um sich gut darzustellen oder zu erwarten, dass diese immer etwas ganz besonders Tolles leisten: „Das ist der Fehler. Dass man versucht, Behinderungen als Stärken darzustellen. Weil es einfach keine Stärke ist. Es ist extrem anstrengend. Aber es geht, wenn es die passenden Angebote und Unterstützungen gibt.“ Denn Teilhabe am Arbeits-Markt ist ein Menschen-Recht. 

 

Geschrieben Von

Ramona Arzberger

Recherche-Mitarbeit

Artin Madjidi

Redaktion

Lisa Kreutzer

Fotos von

Arad Aramimoghaddam