Die Nacht gehört auch mir

Unsere Autorin Leonie Schüler ist vom Nacht-Leben meistens ausgeschlossen. Diesen Sommer hat sie es selbst in die Hand genommen.

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Freitagabend. Draußen feiern meine Freundinnen in der Stadt. Drinnen, bei mir, läuft Netflix. Ich schaue auf mein Handy, auf die Fotos meiner Freund*innen. Sie lachen, tanzen, trinken. Ich bleibe allein zurück – nicht, weil ich nicht will, sondern weil ich nicht kann.

Ich bin nicht deshalb nicht mit meinen Freund*innen unterwegs, weil ich keine Lust habe, sondern weil es schwer für mich ist, überhaupt in die Stadt zu kommen. In Frankfurt gibt es zwar viele Aufzüge, aber oft sind sie kaputt oder durch Baustellen blockiert.

Und selbst wenn alles klappt: Als Frau im Rollstuhl allein nachts unterwegs zu sein, fühlt sich nicht sicher an. Deshalb brauche ich einen Fahr-Dienst. Doch der Fahr-Dienst will vorher feste Zeiten wissen – für den Hinweg und für den Rückweg. Spontan sein geht damit nicht. Wenn ich es doch unter Leute schaffe, bleibt ein anderes Problem. Ich treffe oft Menschen, die unsicher sind oder nicht wissen, wie sie mit mir umgehen sollen. Dann fühle ich mich genauso allein wie vorher zu Hause.

Ich schaue meinen Freund*innen im Internet zu, und es fühlt sich so an, als wäre ihr Leben spontan und grenzenlos. Feiern war für mich immer eine Seltenheit, ein kostbarer Moment. Ein einziges Mal habe ich die ganze Nacht durchgemacht. Für andere eine kleine Sache, für mich ein unvergessliches Erlebnis.

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Feiern ohne Zugang

Denn Veranstaltungen im Nachtleben sind fast nie wirklich barrierefrei. Ich habe bei angesagten Clubs in Deutschland nachgefragt. Im Berghain in Berlin gibt es laut eigenen Angaben einen barrierefreien Zugang. Aber es fehlen konkrete Informationen. Ist jeder Bereich im Club mit Rollstuhl zugänglich? Wie sieht es mit den Toiletten aus? Gibt es ein Warn-System und einen Evakuierungs-Plan, der Menschen mit Behinderungen mitdenkt?

Der Blitz Club in München antwortet: Der Eingang sei ohne Stufen erreichbar. Der Tanz-Bereich hat eine Stufe, aber es gibt eine Rampe. Es gibt eine barrierefreie Toilette in der Nähe vom Eingang. Auf Nachfrage erfahre ich allerdings: In der Toilette gibt es keinen Personen-Lifter. Für mich ist diese Toilette also nicht barrierefrei.

Viele denken, Barriere-Freiheit heißt, dass es keine Stufen gibt. Aber Barriere-Freiheit bedeutet mehr als das. Je nach Behinderung können unterschiedliche Dinge eine Barriere darstellen.

Franzi Lammers kennt das Problem gut. Sie ist Teil der Initiative Barrierefrei Feiern, die sich vor sechs Jahren gegründet hat. Sie sagt: Barriere-Freiheit ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch der Einstellung: „Barriere-Freiheit bedeutet mehr als Rampen. Es geht um das Bewusstsein der Veranstalter und das Verändern von Strukturen.“ Sie berät Festivals und setzt sich dafür ein, Barriere-Freiheit von Anfang an mitzudenken und gesetzlich verbindlich zu verankern.

Lammers sagt, es sei wichtig, dass Veranstaltende klar über ihre Barriere-Freiheit informieren. Zum Beispiel: Wo gibt es barrierefreie Toiletten? Wie komme ich aufs Gelände? Wer hilft bei Fragen? Wenn solche Infos früh und verständlich für alle sind, können mehr Menschen teilhaben.

Denn selbst wenn es Barriere-Freiheits-Maßnahmen gibt, sind sie selten online zu finden. Ständig muss ich detektivisch im Internet recherchieren, ob ein Ort für mich zugänglich ist. Das ist anstrengend und kostet mich viel Zeit. 

Deshalb habe ich es diesen Sommer selbst in die Hand genommen: Ich habe bei einem Festival mit-organisiert. Das Festival hieß Konglomerat-Festival und war auf einer Burg in Hessen. Es war ein besonderes Sommer-Erlebnis mit Zelten, Musik und Lesungen. Auf dem Festival kamen Erinnerungen zurück. Jede*r hat Unterstützung angeboten – genau wie in meiner Kindheit. Damals war ich oft auf einem Camping-Platz. Wir hatten dort einen Wohn-Wagen. Auf dem Campingplatz habe ich über Jahre einige Freundinnen gefunden. Später wurde es immer schwieriger, an Veranstaltungen teilzunehmen.

Leonie Schüler hat ein Festival mit-organisiert

Nichts über uns, ohne uns

Ich war die erste Besucherin der Veranstaltung, die auf Barriere-Freiheit angewiesen war. Weil ich dabei war, begannen die Organisator*innen durch meine Mithilfe zu überlegen, wie das Festival  künftig barrierefrei gestaltet werden kann. Den Ablauf aktiv mitgestalten zu können, war für mich ganz neu. Und es brachte auch mir eine neue Sichtweise, denn im Alltag bin ich diejenige, die von anderen Unterstützung braucht.

In der Behinderten-Bewegung gibt es einen Grundsatz: Nichts über uns, ohne uns. Funktioniert es besser, wenn Menschen mit Beeinträchtigungen selbst bei der Organisation mitwirken? Ja! Ich finde zwar, dass Inklusion und Teilhabe Aufgaben für die gesamte Gesellschaft sind. Aber gleichzeitig weiß ich vieles, was Menschen ohne Beeinträchtigung nicht wissen.

Zum Beispiel, dass es für Personen mit Elektro-Rollstuhl wichtig ist, einen Strom-Anschluss zu haben. Oder eben, dass es einen Hebe-Lifter braucht, damit Toiletten wirklich barrierefrei sind. Dadurch, dass ich bei der Gestaltung des Festivals mitmachen konnte, war es zugänglicher für viele Menschen. 

Viele Festivals sind nicht inklusiv

Vor Ort habe ich dann aus meinen Texten gelesen – unter anderem über meine Sexualität. So konnten die Menschen mich kennenlernen und unsichtbare Barrieren abbauen, also Berührungs-Ängste und Vorurteile.

Auch wenn bei meinem ersten Festival noch nicht alles perfekt war, so war es für mich ein unglaubliches Erlebnis. Seit ich denken kann, bin ich größtenteils vom Nachtleben ausgeschlossen. Aber Kultur bedeutet auch Gemeinschaft. Und Teilhabe ist ein Menschen-Recht. Es gibt Studien, die zeigen, dass kulturelle Teilhabe das Wohlbefinden deutlich verbessern kann. Und kein unnötiger Luxus ist. Wenn ich Kunst, Partys oder Musik mit anderen erlebe, fühle ich mich verbunden. Als Teil einer Gemeinschaft. Ein Gefühl, das mir sonst so oft fehlt, weil ich wegen der vielen Barrieren oft nicht dabei sein kann.

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Geschrieben Von

Leonie Schüler

Fotos von

Privat

Redaktion

Lisa Kreutzer

Fact-Checking

Emil Biller