Menschen mit Behinderung sind öfter arbeitslos, als Menschen ohne Behinderung. Die Gründe sind fragwürdige Gesetze und ein exklusiver Arbeitsmarkt.

Menschen mit Behinderung wird es am Arbeitsmarkt besonders schwer gemacht. Die Erwerbsquote, also der Anteil der Menschen, der einen Job hat, lag 2018 bei Menschen mit Behinderung bei 55 Prozent. Die allgemeine Erwerbsquote zeigt hingegen, dass mehr als drei Viertel der gesamten Bevölkerung eine Arbeit haben. Das bedeutet, dass überdurchschnittlich viele Menschen mit Behinderung arbeitslos sind. Das liegt in erster Linie an einem Arbeitsmarkt, der diese Menschen ausschließt.

“Ich war vor meiner jetzigen Stelle vier Jahre in keinem Arbeitsverhältnis”, sagt David K.* David hat eine Behinderung. Aufgrund einer chronischen Erkrankung fällt es ihm schwer, feinmotorische Arbeiten zu verrichten. Er braucht manchmal länger, Dinge so auszusprechen und zu formulieren, wie er sie sich denkt. Nach langem Suchen hat David einen Arbeitsplatz gefunden, der seine individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten berücksichtigt. “Jetzt einen Beruf zu haben, der mir die Möglichkeit gibt, mein Leben aus eigener Kraft zu finanzieren, ist ein gutes Gefühl”, sagt er.

In Österreich ist es grundsätzlich so, dass Menschen mit Behinderung in arbeitsfähige und nicht arbeitsfähige aufgeteilt werden – und da fängt das Problem schon an. Aufbauend auf einem medizinischen Gutachten wird festgestellt, wie viel “Restleistungsfähigkeit” ein Mensch mit Beeinträchtigung hat. Liegt diese “Restleistungsfähigkeit” bei unter 50 Prozent, so kann es sein, dass die Person ihr restliches Leben lang keinen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt bekommt. Damit sind die Jobs gemeint, die voll von Unternehmen bezahlt werden, ohne Zuschüsse oder Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik.

Für nicht arbeitsfähige Menschen gibt es in Österreich – so wie Nikolai das in seinem Text auch über die Situation in Deutschland beschreibt – Werkstätten bzw. Beschäftigungsstrukturen. Es handelt sich dabei allerdings nicht um vollberechtigte Jobs, mit allen zugehörigen Sozialleistungen, sondern um eine Beschäftigung auf Taschengeldbasis. 23.000 Menschen arbeiten in Österreich zirka zur Zeit in so einer Werkstätte. Das “Taschengeld”, das sie bekommen, reicht oft bei weitem nicht aus, um davon zu leben. Durch diese Gesetze gibt es viele Menschen mit Behinderung in Österreich, die ihr Leben lang auf finanzielle Unterstützung von Familie und Freunden angewiesen sind und in der Altersarmut landen.

„Für die Betroffenen ist das nicht nur beschämend, sondern führt auch häufig dazu, dass viele Menschen mit Behinderungen von Armut bedroht sind. Sehr oft bleibt ihnen der Zutritt zum regulären Arbeitsmarkt und ein gleichberechtigter Status lebenslang verwehrt”, kritisierte Michael Landau, Präsident der Caritas, Anfang Dezember 2021. Betroffene seien häufig auf die Behinderten- und Sozialhilfe angewiesen, die von den Ländern ausbezahlt wird. Sie haben keinen Anspruch auf Leistungen des Bundes, wie etwa des AMS, auf eine eigene Krankenversicherung oder Krankenstandanspruch, oder auf eine Pensionsversicherung. “Das muss sich ändern”, befindet der Caritas Präsident.

Die österreichische Regierung ist sich dieses Problems schon lange bewusst. Das Ziel ist es, die Regelung ganz abzuschaffen, auch, weil sie der UN-Behindertenrechtskonvention widerspricht, die immerhin 2008, also vor 14 Jahren, in Österreich ratifiziert wurde. Im Regierungsprogramm hat die Regierung als Zielsetzung festgeschrieben: “Lohn statt Taschengeld – Gemeinsame Erarbeitung der Umsetzungsschritte mit den Stakeholdern”.

Illustration: Clara Sinnitsch

“Ich glaube prinzipiell, dass Unternehmen mit Menschen mit Behinderungen umgehen lernen müssen”, meint David, “da es viele Personen gibt, die grundsätzlich einer Arbeit nachgehen möchten und eine Leistung in einem bestimmten Bereich erbringen können.” Allerdings würden die meisten Unternehmen derzeit lieber eine Ausgleichstaxe bezahlen, als eine*n Mitarbeiter*in mit Behinderung einzustellen. “Das ärgert mich persönlich.”

Arbeitgeber*innen, also Firmen und Unternehmen, die 25 oder mehr Personen beschäftigen, müssten pro 25 Arbeitnehmer*innen eigentlich mindestens einen Menschen einstellen, der als “begünstigt behindert” gilt. Um diesen Status zu erhalten, muss ein Mensch zum Beispiel österreichischer Staatsbürger sein, der Grad der Behinderung muss mindestens 50 Prozent betragen und er muss dafür einen Antrag beim Sozialministeriumsservice seines Bundeslandes stellen.

Die Arbeitsplätze für “begünstigt behinderte” Menschen sind sogenannte Pflicht-Stellen. Besetzen Arbeitgeber*innen diese Pflicht-Stellen nicht, so muss Geld, die sogenannte Ausgleichstaxe, bezahlt werden. Bei kleinen Unternehmen (bis 99 Arbeitnehmer*innen) beträgt diese 276 Euro pro Monat. Bei größeren (100 bis 399 Arbeitnehmer*innen) sind es schon 388 Euro, und bei Firmen, die 400 oder mehr Arbeitnehmer*innen beschäftigen, müssen 411 Euro pro nicht besetzter Pflichtstelle im Monat bezahlt werden. Für große Unternehmen sind das Peanuts. 

Mit seinem Eindruck hat David also durchaus recht. Nach den geltenden Gesetzen müsste es in Österreich insgesamt mehr als 98.500 Pflicht-Stellen geben für Menschen, die als “begünstigt behindert” gelten. Tatsächlich sind nur knapp zwei Drittel dieser Stellen auch wirklich besetzt. Zirka 34.000 vorgeschriebene Jobs für Menschen mit Behinderung werden also nicht vergeben. Die Unternehmen zahlen stattdessen die monatliche Ausgleichstaxe. In Summe ergab das im Jahr 2016 fast 90 Millionen Euro, die Unternehmen bezahlen, anstatt inklusive Arbeitsstellen zu besetzen. Der Mehrwert hingegen, den es für das Personal einer Firma darstellt, mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten und mit ihrer Lebenswelt in Berührung zu kommen, wird bei diesen Rechnungen oft vernachlässigt. Welche Bereicherung Inklusion am Arbeitsplatz sein kann, könnt ihr auch in Luises und Lisas Interview mit Nima Sabouni, dem Leiter der Personalabteilung der Pizzakette L’Osteria, nachlesen.

David ist selbst aktiv geworden und hat eine Lösung mit seinem Arbeitgeber gefunden. Er arbeitet  heute in einer großen Firma im Energiesektor, gefunden hat er die Stelle über das Social Enterprise “myAbility”. “Ich weiß, dass ich gute Arbeit mache, aber auch Erholungsphasen brauche. Eine Teilzeitstelle ist für mich daher genau das Richtige. Da scheint es aber auch oft zu einem Interessenkonflikt zwischen Arbeitnehmer*in und Arbeitgeber*in zu kommen. Zum Glück war das aber bei mir nicht so.” Durch die Anstellung verliert David seinen Anspruch auf andere Unterstützungszahlungen, weshalb er mit dem Lohn der Teilzeitstelle auskommen muss. David K. konnte seine Situation deutlich machen und ist auf Verständnis gestoßen. „In der Praxis erlebe ich, wie wertvoll mein Beitrag als Mitarbeiter mit Behinderung ist, das stärkt mein Selbstbewusstsein und bestätigt mich als gleichwertigen Teil des Teams.”

* Name geändert