Ganz unter uns

Der “Club 21” in Wien veranstaltet jeden Freitag eine inklusive Disco. Sie ist barrierefreier als die meisten der Stadt, aber erreicht kaum nichtbehinderte Menschen. Warum ist das so?
Ansicht vom Club 21 von draußen. Die Eingangstür ist offen, draußen ist es bereits dunkel. Man sieht im Innenraum Scheinwerfer, buntes Licht und eine Discokugel. Im Hintergrund sind Umrisse von verschiedenen Personen zu erkennen.

Geschrieben von

Recherche von Magdalena Bauer, Emilia Garbsch und Artin Madjidi

 

Es ist Januar, Freitag der Dreizehnte. Kein Tag des Unglücks – sondern zum Party machen. Um halb sieben wird im “Club 21” schon gefeiert. Hier riecht es, anders als in anderen Clubs, nicht nach Alkohol und Schweiß, sondern nach Würsteln und Gulaschsuppe. Die Garderobe im Eingangsbereich ist eine halbe Stunde nach dem Partybeginn schon voll. Auf den Kleiderbügeln hängen Zettel mit den Namen der Jacken-Besitzer*innen. Es gibt zwar keine Musik, aber die Gespräche der Leute klingen wie eine Melodie. Bunte Lichter, Girlanden und Zeichnungen an den Wänden dekorieren den Club.

„Einen schönen guten Abend meine Damen und Herren.“ Der DJ spricht über einen Lautsprecher.

Einige im Publikum schreien vor Freude. Auf einmal wird es sehr laut, der Radetzkymarsch, abgespielt über YouTube. Es ist die erste Disco im neuen Jahr. Innerhalb weniger Minuten wird es immer lauter, alle klatschen, die Ersten tanzen. Ein Mann mit Downsyndrom in der ersten Reihe wirft im Sitzen die Arme in die Luft und tut so, als würde er dirigieren. Im Gesicht zeichnet sich ein breites Grinsen ab, das ihn den ganzen Abend begleiten wird.

In den Köpfen vieler Menschen beginnt ein Partyabend anders. Um kurz nach sechs Uhr startet bei einigen noch nicht mal das Vorglühen. Nicht so im “Club 21” im neunten Wiener Gemeindebezirk. Zwischen den zahlreichen Clubs und Bars der Gürtelbögen feiern Menschen, die durch Barrieren oft aus dem Nachtleben ausgeschlossen werden. Für einige der Stammgäste ist der freitägliche Clubabend von 18 bis 22 Uhr der einzige Zugang zum Party machen. Sie feiern dort weitgehend „unter sich”, also ohne nichtbehinderte Party-Besucher*innen. Dabei ist der “Club 21” eigentlich für alle da. Inklusives Nachtleben, das ist die große Ausnahme. Warum aber ist das so?

In Wien gibt es einen Club. Er heißt “Club 21”.

Jeden Freitag ist dort Disko. Die Party ist eigentlich inklusiv. Das heißt, sie ist für Menschen mit und ohne Behinderungen.

Aber: Kaum Menschen ohne Behinderungen feiern im “Club 21”. Manche Partybesucher*innen finden das schade.

„Es würde mich freuen, wenn auch andere Leute vorbeikommen, aber das ist eher selten so“, erzählt Thomas. Der 39-jährige sitzt im Rollstuhl, trägt einen roten Pullover und vor ihm steht ein Glas Cola mit Strohhalm. Die “Gesunden”, wie er nichtbehinderte Menschen nennt, würden sich nicht für den “Club 21” interessieren, glaubt er.

Das mag daran liegen, dass es im “Club 21” keinen Alkohol gibt. Leiterin Monika Haider erklärt, dass sie sich das nicht trauen würde, weil viele Besucher*innen Medikamente nehmen und alleine kommen. Sie fühle eine zu große Verantwortung für ihre Gäste.

An einem Freitag besteht das Team aus ungefähr fünf Personen, sie kümmern sich um circa 60 Besucher*innen. Neben Essen und Trinken bieten sie auch Assistenz an, wenn das gewünscht ist. Sie unterstützen beim Ausziehen der Jacken, beim Essen und Geld zählen. Sie bringen Getränke von der Bar zum Tisch oder helfen dabei, neue Leute anzusprechen. Je nachdem, wo sich ihre Gäste Unterstützung wünschen, sagt Haider. Das sei immer sehr individuell.

Thomas kommt seit 15 Jahren in den “Club 21”. „Manchmal wird mir hier schon langweilig, aber bevor ich gar nichts habe, komme ich lieber da her, weil mir gefällt es schon hier“, sagt er. Einmal war Thomas in einem anderen barrierefreien Club. Die Leute waren betrunken, er sei angeschüttet worden, erzählt er. Deshalb gehe er seither nur mehr in den “Club 21”.

Im “Club 21” gibt es viel Assistenz. Das heißt, die Besucher*innen werden unterstützt. Aber nur, wenn sie Unterstützung wollen.

Unterstützung kann bedeuten: jemand hilft, die Jacke auszuziehen. Oder beim Bezahlen der Getränke. Im “Club 21” gibt es diese Unterstützung. In anderen Clubs meist nicht.

Im “Club 21” gibt es auch keinen Alkohol. Die Leiterin des “Club 21” sagt: das geht nicht anders. Sie erklärt das so: Im “Club 21” arbeiten nur wenige Leute.

Wenn es Alkohol gäbe, müssten sie noch mehr unterstützen. Das wäre zu viel Arbeit.

Für Thomas sind andere Clubs zu hemmungslos. Dem 25-jährigen Michael wäre es hingegen im “Club 21” zu ruhig. Auch wenn er noch nie dort war, sind Partys ohne Alkohol und mit Volksmusik grundsätzlich nicht unbedingt sein Fall. Michael arbeitet als Sekretär, will aber bald Geschichte studieren. Er ist gerne unter Leuten, geht mit Freund*innen in Clubs oder auch mal auf eine Homeparty. Dann ist er oft der einzige Rollstuhlfahrer in der Gruppe. Manchmal stösst er dort auf Stufen ohne Lift oder nicht-barrierefreie Toiletten.

Mit seinen Gehhilfen kann Michael diese Barrieren zwar oft überwinden – zur Sicherheit recherchiert er aber lieber schon vorab, wie zugänglich eine Party ist. „Das entscheidet schon, ob ich mir das überhaupt antun will“, meint Michael. Ein guter Tipp: Google Maps. Da schaut Michael sich oft Bilder von dem Haus an, um zu sehen, wie der Eingang ist – oder er fragt Freund*innen, die das Gebäude schon kennen. Michael sagt, dass das Umfeld wichtig sei, weil man beim Fortgehen oft auf die Hilfe von anderen angewiesen ist. Sein Freundeskreis denke aber mit und nehme Rücksicht. Dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammen Party machen, findet Michael wichtig. Alles andere habe wenig mit Inklusion zu tun. Michael meint außerdem: „Wenn ein zurechnungsfähiger behinderter Mensch sagt: ‘Ich will mir heute die Kante geben!’ soll er das machen können.“

Michael geht gerne auf Partys. Er ist Rollstuhlfahrer.

Deswegen ist Barrierefreiheit auf Partys wichtig für Michael. Er will vor einer Party wissen: Gibt es Stufen? Und: Gibt es ein Klo, das ich benutzen kann?

Michael findet es auch wichtig, dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammen feiern. Das ist wichtig für die Inklusion, sagt er.

Unbeschwert feiern, das geht nicht für alle überall, weiß Martina Brunner von der “Vienna Club Commission”. Das ist ein Verein, der 2020 gegründet wurde und die Wiener Clubszene vertritt. Auf deren Webseite gibt es eine Karte. Dort kann sich jeder Club selbst eintragen. Der “Club 21” ist nicht dabei. 289 andere Lokale aber schon. Nur 34 davon sind als barrierefrei gemeldet.

„Wir wissen, dass nicht jeder Club, der sich als barrierefrei einordnet, wirklich barrierefrei ist“, sagt Brunner. Sie nennt ein Beispiel: Wenn ein Lokal eine Rampe am Eingang hat, aber keine barrierefreie Toilette, ist nicht alles barrierefrei. Die angegebenen Daten der Clubs werden vom Verein nicht geprüft.  Wheelmap ist eine Webseite, auf der alle die Barrierefreiheit von Orten bewerten können. Der Vergleich zeigt, dass die Selbsteinschätzung der Clubs nicht immer mit der Bewertung der Community übereinstimmt. Martina Brunner sagt, dass das fehlende Verständnis und hohe Kosten für Umbauarbeiten Gründe für mangelnde Barrierefreiheit sein könnten.

Michael feiert deshalb manchmal trotzdem auf Partys, die nicht barrierefrei sind. Er sagt, davon wolle er sich aber nicht den Abend verderben lassen. Wenn es mal kein zugängliches Klo gibt, dann würde er auch mal vor der Türe in eine Flasche pinkeln. „Man muss da eine gewisse Flexibilität haben!“

Viele Clubs in Wien sind nicht barrierefrei für Rollstühle.

Man kann ein Lokal verklagen, wenn das so ist. Das Gericht entscheidet, ob das Gesetz gebrochen wurde.

Im Gesetz steht nämlich: Alle Lokale müssen barrierefrei sein.

Aber es gibt Ausnahmen. Zum Beispiel: Ein Lokalbesitzer kann sich keinen Umbau leisten. Dann muss er nicht für Barrierefreiheit sorgen.

Eigentlich steht im Gesetz, dass alle Räume, in denen etwas in der Öffentlichkeit verkauft wird, barrierefrei sein müssen. Kontrolliert wird das nicht. Als Mensch mit Behinderung kann man das Unternehmen wegen Barrieren verklagen. Bei Gerichtsverfahren kommt es zu Zumutbarkeitsprüfungen. Da wird darüber entschieden, ob es dem Unternehmen finanziell überhaupt möglich gewesen wäre, das Lokal umzubauen. Es gibt jedoch nicht nur bauliche Barrieren: Manche Menschen haben Assistenztiere. Andere brauchen Party-Einladungen in Leichter Sprache. Für blinde Menschen gibt es Leitsysteme und Brailleschrift. Für andere wiederum ist es wichtig, dass es nicht zu laut oder wild wird.

Für Rollstuhlfahrer können zum Beispiel Stufen eine Barriere sein.

Aber es gibt auch andere Barrieren: Zum Beispiel sind manche Party-Einladungen in schwerer Sprache und schwer zu verstehen. Das ist auch eine Barriere.

Barrierefreier wäre eine Einladung in Leichter Sprache. Je nach Behinderung gibt es also andere Barrieren beim Party machen.

Mittlerweile ist es 20 Uhr im “Club 21”. “Ich weiß nicht, wo das ist“, sagt Herbert, während er tanzt. Mit “das” meint Herbert andere Partys. Die würden Herbert eigentlich auch interessieren. Aber ihm fehlen verständliche Infos, um sie zu finden. Auf der anderen Seite des Raumes fragt Partybesucher Albert, er ist autistisch, viele Personen nach der Handynummer, weil er Freund*innen sucht. Später hat er einen Konflikt mit einer jungen Frau. Sie ist sehr laut und ihm wird das zu viel. Sofort ist das Personal und Besucher*innen zur Stelle, um zu vermitteln. Die Frau verlässt mit ihren zwei Begleiterinnen ohne Aufforderung die Party.

Neue Leute kennenlernen, das ist Programm beim “Club 21”. Auch der Freundeskreis des Senior*innentisches ist hier entstanden. Heute sprechen sie über die Teuerung. Andreas erzählt von seiner Arbeit in der Werkstatt. Er verdient dort 50 Euro im Monat. Bei so einem Einkommen ist auch Geld eine Barriere. Deswegen gibt es im “Club 21” Sozialpreise. Der Eintritt kostet zwei Euro. Essen und Getränke gibt es beinahe zum Einkaufspreis. Um das zu ermöglichen, wird der “Club 21” aus dem Fond Soziales Wien, Licht ins Dunkel und privaten Spendern finanziert. Früher hat sich die MA40 der Stadt Wien um den Partyabend gekümmert. Als sie aufhören wollte, hat das Wiener Hilfswerk übernommen.

Der “Club 21” bedeutet für seine Besucher*innen auch Gemeinschaft und Selbstbestimmung – Leiterin Monika Haider erzählt, dass viele der Stammgäst*innen in betreuten Wohneinrichtungen leben. Der Club gebe ihnen ein kleines Stück mehr Unabhängigkeit. Aber: Weil der “Club 21” eines von wenigen zugänglichen Angeboten ist, fehlt es auch an Auswahl. Besonders Konzepte, die Barrierefreiheit und Inklusion verbinden, sind selten. Auch der “Club 21” erfüllt hier nicht seine eigenen Ansprüche. Monika Haider sieht Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderungen als Grund dafür, dass in ihrem Club kaum nichtbehinderte Menschen feiern. Aber auch die Öffnungszeiten und die Bar ohne Alkohol. Weil der “Club 21” sowieso schon an Kapazitätsgrenzen stoße, versuche man nicht, aktiv Gäste anzuwerben.

Es ist 21 Uhr im “Club 21”. Drinnen ist die Tanzfläche mittlerweile voll. Aus dem Lautsprecher kommt plötzlich Musik von Psy, dem Rapper. Davor gab es Volksmusik von DJ Ötzi, Helene Fischer und Andreas Gabalier. Richtige Ohrwürmer. Alle lassen die Hüften kreisen und singen bei jedem Lied mit. In der Mitte ist ein Pärchen, das sich ganz eng umschlungen in den Armen hält und tief in die Augen blickt. Man hört Menschen vor Freude lachen und in einer Stunde, um 22 Uhr, wird alles vorbei sein.

Klatschende Hände

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Redaktion: Lisa Kreutzer

Lektorat: Patricia McAllister-Käfer

Graphik: Clara Sinnitsch

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