Gleiche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen ist gesetzlich vorgeschrieben. Auch bei Schul-Ausflügen. Doch für Amira aus Wien hängt sie vom guten Willen und Einsatz ihrer Lehrer*innen ab.
Dieser Text spielt in Österreich.
Amira liebt Schul-Ausflüge. Eislaufen, Schwimmen oder ein Besuch im Museum. Die 14-Jährige möchte immer dabei sein. Auch, wenn sie nicht genauso mitmachen kann wie ihre Mitschüler*innen. „Ihr ist es egal, wenn sie am Rand steht”, sagt Amiras Mutter. „Sie möchte nur nichts verpassen.“
Doch im Gegensatz zu ihren Mitschüler*innen gibt es für Amira viele Hürden bei einem Schul-Ausflug. Ob sie mitfahren kann, hängt von Formularen, Genehmigungen und Geld ab. Und dem Einsatz und guten Willen ihrer Lehrer*innen.
Amira ist die einzige Schüler*in in ihrer Klasse, die einen Rollstuhl nutzt. Sie besucht die Oberstufe eines Gymnasiums in Wien. Amira heißt nicht wirklich Amira. Wir haben ihren Namen geändert, weil sie nicht erkannt werden möchte.
Amira hat eine Assistent*in in der Schule. Die Assistent*in unterstützt sie bei allem, was Amira im Schul-Alltag so braucht: Beim Essen der Jause, um etwas aus der Schul-Tasche zu holen, bei Tests und auch bei Schul-Ausflügen.
Aber obwohl die Assistent*in Amira sowieso jeden Schul-Tag begleitet, muss ihre Lehrerin bei einem Ausflug extra einen Antrag ausfüllen. Sie muss immer anfragen, ob die Assistent*in auf den Schul-Ausflug mitkommen kann.
„Diesen drei-seitigen Antrag gibt es erst seit letztem Jahr“, sagt Amiras Mutter. Er ist ein zusätzlicher Aufwand für die Lehrerin und für Amiras Mutter, die ihn jedes Mal unterschreiben muss. „Und die Bildungs-Direktion Wien will die Anträge für die Schul-Ausflüge am liebsten bis zum Beginn des Schul-Jahres haben“, sagt die Klassen-Lehrerin. Aber da sei oft noch gar nicht klar, welche Ausflüge stattfinden.
Eine Bildungs-Direktion ist zuständig für Schulen in einem Bundes-Land. Sie kümmert sich darum, dass alles in der Schule gut funktioniert und dass Gesetze eingehalten werden.
Den neuen Antrag gibt es, weil das Bildungs-Ministerium 2023 entschieden hat, dass Schüler*innen mit verschiedenen Behinderungen Zugang zu einer Assistenz haben sollen. Das ist eine Verbesserung. Davor gab es die Assistenz vor allem für Schüler*innen mit Körper-Behinderungen – wie bei Amira. Die neue Regelung soll also eigentlich den Zugang zu Assistenz erleichtern, für Amira gibt es jetzt aber auch zusätzlichen Aufwand und Unsicherheit.
Auf andererseits-Anfrage erklärt die Bildungs-Direktion Wien, dass schon von einigen Seiten der Wunsch kam, den Antrag zu vereinfachen. Es sei aber schwierig. Sie versichert: Im Laufe des Schul-Jahres werde der Antrag überprüft. Es soll geschaut werden, wie man ihn einfacher machen kann.
Keine Last sein
„Amira glaubt, wenn sie auf Ausflüge mitkommt, bedeutet das für die anderen in der Klasse Extra-Aufwand und Extra-Kosten”, sagt ein Lehrer von Amira. Für sie ist das alles unangenehm. Amira weiß, dass ihre Lehrer*innen ohnehin überlastet sind – und die Arbeit mit den Formularen nicht extra bezahlt bekommen. Manchmal überlegt sie deshalb, ob sie überhaupt auf die Ausflüge mitfahren soll. Sie will keine Last sein.
„Menschen mit Behinderungen suchen die Schuld häufig bei sich selbst”, sagt Markus Bräuer-Donke. Markus Bräuer-Donke ist Psycho-Therapeut mit Behinderungen und begleitet in seiner Arbeit vor allem Menschen mit Behinderungen. Ein Psycho-Therapeut hilft Menschen, wenn sie Sorgen oder Probleme haben.
Dass sich Menschen mit Behinderungen als Last sehen, wie Amira das beschreibt, erlebt er häufig. „Als Person mit Behinderung will ich einfach so sein, wie alle anderen auch”, sagt der Psycho-Therapeut. Gerade in der Schule. „Wenn ich das Gefühl habe, dass andere wegen mir etwas nicht machen können oder immer Rücksicht nehmen müssen, dann macht das ein schlechtes Gewissen.”
Für ihn zeigt das, wie die Gesellschaft funktioniert: „Wenn es normal wäre, dass sich Menschen mit Behinderungen beteiligen, dann müssten sich Menschen mit Behinderungen diese Fragen nicht stellen.”
Barriere-freie Busse sind teurer
Und dann gibt es noch eine weitere Hürde bei den Schul-Ausflügen: die Busse. „Ein Bus, in dem Amira mitfahren kann, ist nicht nur schwer zu finden, sondern kostet auch fast doppelt so viel“, sagt die Klassen-Lehrerin.
Amiras Lehrerin versuchte, Unterstützung für die zusätzlichen Kosten zu bekommen. Erfolglos. „Ich wurde von einer Stelle zur nächsten weitergeschickt. Niemand wollte dafür verantwortlich sein”, sagt sie. Und das, obwohl das Gesetz sagt: In Österreich müssen Schüler*innen mit Behinderungen und Schüler*innen ohne Behinderungen die gleichen Möglichkeiten haben.
Auch die Bildungs-Direktion Wien verwies die Lehrerin weiter. Sie hätten keine Möglichkeiten, die zusätzlichen Kosten zu fördern. Die Lehrerin solle es bei Organisationen wie der Wiener Assistenz-Genossenschaft, beim Sozial-Ministerium oder bei der Spenden-Aktion Licht ins Dunkel versuchen. Die andererseits-Anfrage, warum die Bildungs-Direktion sich hier nicht wirklich verantwortlich fühlt, wurde bis Redaktions-Schluss nicht beantwortet.
Die Bildungs-Direktion betont aber: Es sei ganz klar, „dass keine Diskriminierung erfolgen darf und Lehr-Ausgänge keinesfalls aus Kosten-Gründen entfallen dürfen.“ Sie weisen darauf hin, dass sich die Schule gemeinsam mit der zuständigen Schul-Aufsicht aus der Bildungs-Direktion um solche Probleme kümmern muss. Und nach ihrer Erfahrung werde dabei immer eine Lösung gefunden.
Im Fall von Amiras Klasse hat das bisher nicht geklappt. Die Kosten für den teureren Bus wurden von der gesamten Klasse bezahlt. Für die Lehrerin ist wichtig, dass Amira bei allen Ausflügen dabei sein kann. Um Amira zu schützen, verheimlichte sie den anderen Schüler*innen, dass alle mehr zahlen. Auch deshalb will Amira nicht mit ihrem echten Namen genannt werden.
Warum es so wichtig ist, nicht ausgeschlossen zu sein
Schul-Ausflüge sind dazu da, die Klassen-Gemeinschaft zu stärken, betont Psycho-Therapeut Bräuer-Donke: „Es geht darum, gemeinsam etwas zu erleben. Wenn ein Kind da nicht mit kann, ist es von der Klassen-Gemeinschaft ausgeschlossen.” Menschen können davon Depressionen bekommen oder sich immer mehr zurückziehen.
Und Kinder bleiben abhängiger von ihren Eltern oder ihrer Assistenz. Vor allem in diesem Alter will man Zeit mit Gleichaltrigen verbringen. „Jugendliche versuchen, sich von den Eltern loszulösen“, sagt Bräuer-Donke. „Wenn man auf diese aber stark angewiesen ist, ist das nicht möglich.” Und dadurch könne man weniger gut lernen, selbstbestimmt zu leben.
Die Politik ist dafür verantwortlich, dass Schüler*innen mit Behinderungen überall dabei sein können. Amira stößt trotzdem auf viele Hürden. Ohne den Einsatz ihrer Lehrer*innen würde sie wahrscheinlich öfter nicht auf Schul-Ausflüge mitfahren. Aber ihre Lehrer*innen ermutigen sie immer wieder. Und deshalb will sie heuer sogar das erste Mal bei einem mehr-tägigen Ausflug dabei sein.
Geschrieben Von
Ramona Arzberger
Getestet von
Nikolai Prodöhl
Fakten-check
Emil Biller
Bild
Luise Jäger
Ramona Arzberger